Kann und soll man die NPD verbieten?
30 Thesen zu juristischen und politischen Aspekten
Von Armin Pfahl-Traughber
Angesichts ihrer verfassungsfeindlichen Grundpositionen fordern viele Demokraten ein Verbot der NPD: Welche Argumente sprechen dafür? Welche Argumente sprechen dagegen? Und: Wie steht es um die juristische Dimension des Problems? Dazu positionieren sich die folgenden 30 Thesen:
1. Nach dramatischen Ereignissen mit rechtsextremistischen Bezügen bricht mit einer gewissen Regelmäßigkeit eine Debatte über ein NPD-Verbot aus, wobei die anlassgebenden Vorkommnisse nicht notwendigerweise direkt etwas mit der Partei zu tun haben müssen.
2. Gleichwohl verdient unabhängig von dieser Erkenntnis die Frage „Kann und soll man die NPD verbieten?“ inhaltliche Aufmerksamkeit, handelt es sich doch um eine eindeutig rechtsextremistische Partei mit demokratie- und menschenfeindlicher Ausrichtung.
3. Eine Debatte in diesem inhaltlichen Kontext sollte um der Differenzierung willen aber die Frage einerseits nach der juristischen Möglichkeit und andererseits nach der politischen Notwendigkeit getrennt voneinander betrachten und erörtern.
4. Für den letztgenannten Bereich gibt es einleuchtende und tragfähige Sachargumente für wie gegen ein Verbot, was demnach eine abwägende und differenzierende Begründung bei der Ausformulierung eines entsprechenden Votums notwendig macht.
Argumente für ein Verbot der NPD
5. Die NPD artikuliert ihren aggressiven Rechtsextremismus durch die Forderung nach einer Ablösung des demokratischen Systems und die Hetze gegen Angehörige verschiedener Minderheiten, womit die Grenze der Toleranz auch in einer Demokratie überschritten ist.
6. Da die Partei in den letzten Jahren im Sinne eines „Staubsauger“-Effekts die Neonazi-Szene angezogen und die DVU integriert hat, würde das Verbot der NPD zu einer Schwächung des gesamten rechtsextremistischen Lagers führen.
7. Es käme durch einen solchen Schritt sowohl zur Auflösung der aktuell bedeutsamsten Wahlpartei wie zur Verhinderung einschlägiger öffentlicher Propaganda wie zur Zerschlagung wichtiger sonstiger Organisationsstrukturen im Rechtsextremismus.
8. Zwar sieht die NPD in der Gewaltanwendung selbst nicht ihren primären Handlungsstil, die von ihr ausgehende fanatische Agitation befördert aber in deren politischem Umfeld von der Neonazi- bis zur Skinhead-Szene einschlägige Neigungen und Potentiale.
9. Die Beschlagnahmung des Besitzes und die Zerschlagung der Strukturen der NPD nach einem Verbot würde Rechtsextremisten eine bedeutende organisatorische Basis zur Propagierung ihrer demokratie- und fremdenfeindlichen Auffassungen nehmen.
10. Das Bestehen der NPD als legaler Partei führt nach entsprechenden Voten bei Wahlen zu Ansprüchen auf die Parteifinanzierung, womit aktuell die materielle Absicherung der Feinde des demokratischen Staates durch die Gelder des demokratischen Staates erfolgt.
11. Mit einem Verbot würde innerhalb und außerhalb Deutschlands ein wichtiges politische Signal ausgesandt, wonach man als Lehre aus der deutschen Geschichte die Fortexistenz von Parteien mit einer zumindest pro-nationalsozialistischen Ausrichtung nicht duldet.
Argumente gegen ein Verbot der NPD
12. Auch Rechtsextremisten sind Träger von Grundrechten wie dem der Meinungs- und Organisationsfreiheit, wodurch die Forderung nach einem Parteiverbot in einem objektiven Spannungsverhältnis zu demokratischen Prinzipien steht.
13. Gleichwohl können solche Maßnahmen um des Schutzes einer liberalen Demokratie willen angemessen sein, wobei der NPD aber aktuell die dafür nötigen politischen Machtpotentiale zur realen Gefährdung der republikanischen Staatsordnung fehlen.
14. Die Forderung nach einem Parteiverbot muss die angemessene und wirkungsvolle Antwort auf ein reales Problem sein, was weder bezogen allgemein auf rechtsextremistische Gewalttaten noch hinsichtlich des NSU-Rechtsterrorismus der Fall ist.
15. Verbote von rechtsextremistischen Organisationen bedingen keineswegs notwendigerweise eine Schwächung dieses Lagers, stieg doch die Anzahl der Neonazis trotz über 30 Verboten einschlägiger Gruppen seit den 1990er Jahren auf mehr als das dreifache an.
16. Ein Parteiverbot behindert allenfalls zeitweise die Entwicklung rechtsextremistischer Organisationen, dürfte sich doch die Mehrheit der Anhänger der NPD nach einem solchen Schritt längerfristig wieder in anderen legalen oder illegalen Kontexten betätigen.
17. Für die Sicherheitsbehörden stellt der letztgenannte Gesichtspunkt ein besonderes Problem dar, lassen sich doch öffentlich agierende rechtsextremistische Bestrebungen besser beobachten als konspirativ operierende Gruppen.
18. Da in und um die NPD auch ein gewaltbereiter Teil von Rechtsextremisten aktiv ist, besteht objektiv die Gefahr der Radikalisierung in Richtung einer forcierten Gewaltanwendung als dominierender Handlungsoption von einschlägigen Aktivisten.
Die juristische Dimension der Verbotsfrage
19. Das Grundgesetz ermöglicht das Verbot von Parteien, sofern sie „nach ihren Zielen“ die Beseitigung der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ anstreben, was angesichts einschlägiger Bekundungen hochrangiger NPD-Funktionsträger für diese Partei der Fall ist.
20. Bezogen auf die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ präsentierte das Bundesverfassungsgericht im SRP-Urteil 1952 einen Merkmalskatalog, hinsichtlich des Verständnisses von „aggressiv kämpferisch“ mangelt es indessen an einer klaren Definition.
21. Nach dem KPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1956 spielt für ein Verbot die „Aussicht“ auf eine absehbare Umsetzung von verfassungswidrigen Zielen keine Rolle, was aber für den Europäischen Gerichtshof der Menschenrechte sehr wohl der Fall ist.
22. Die dort aufgestellten Kriterien gehen bezogen auf eine zu verbietende Partei von einem „realen Potential“ zur Erlangung der Macht und von einer „dringenden gesellschaftlichen Notwendigkeit“ aus, was bezogen auf die NPD in Deutschland nicht der Fall ist.
23. Dieser rechtsextremistischen Partei gehörten Ende 2011 lediglich 6.300 Mitglieder mit sinkender Tendenz an, sie sitzt nur in zwei Landtagen und verbucht bei Bundestagswahlen kontinuierlich Ergebnisse von weit unter fünf Prozent der Stimmen.
24. So ist zwar das Kriterium „verfassungswidrig“ des Bundesverfassungsgerichts, aber nicht das Kriterium „reales Potential“ des Europäischen Gerichtshofs erfüllt, was ein Erfolg des Verbotsverfahrens im erstgenannten und ein Scheitern im letztgenannten Fall erwarten lässt.
25. Die „V-Mann-Problematik“, die beim ersten NPD-Verbotsverfahren zu einem Scheitern durch Nicht-Fortsetzung führte, scheint durch die Abschaltung der Informanten der Verfassungsschutzbehörden kein Problem mehr zu sein.
Gewichtung der Argumente in der Gesamtschau
26. Ein Abwägen der Argumente für und gegen ein NPD-Verbot führt hier zu einer ablehnenden Auffassung, würde das „scharfe Schwert“ eines solchen Schrittes doch gegenüber einer gesamtgesellschaftlich kaum bedeutsamen politischen Kraft eingesetzt.
27. Die Anhänger und Protagonisten eines Parteiverbots können bislang die Frage „Für welches Problem soll das NPD-Verbot die Lösung sein?“ nicht beantworten, gibt es doch für die Deutung der Partei als primärem Bedingungsfaktor für Gewalt keine Belege.
28. So besteht die Gefahr lediglich symbolischer Politik, womit ein NPD-Verbot objektiv als Ausdruck der Ablenkung von anderen Problemfeldern des Rechtsextremismus und als Mittel der Selbstdarstellung von Handlungsfähigkeit wirken könnte.
29. Die Fixierung auf einen repressiven Akt gegen eine Partei des Rechtsextremismus ignoriert denn auch die gesellschaftliche Dimension des Rechtsextremismus, kann man doch entsprechende Einstellungen als deren sozialem Resonanzboden nicht verbieten.
30. Da sich rechtsextremistische Mentalitäten auch nach einem NPD-Verbot weiterhin in anderen Kontexten finden werden, sollte eine Strategie gegen Rechtsextremismus primär in einer aufklärerischen Dimension für Demokratie und gegen Extremismus bestehen.
Der Autor: Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber, Politikwissenschaftler und Soziologe, ist hauptamtlich Lehrender an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Brühl und ebendort Herausgeber des „Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung“ (JET).