Fabian von Schlabrendorff – ein Patriot gegen Hitler
Von Hans-Jürgen Grasemann
Im Hollywood-Film „Operation Walküre“ ist Claus Schenk Graf von Stauffenberg die Lichtgestalt des deutschen Widerstandes. Der Hitler-Attentäter Fabian von Schlabrendorff wird hingegen nicht einmal namentlich erwähnt. Ihn spielt in einer Nebenrolle Philipp von Schulthess, ein Enkel Stauffenbergs. Dabei war es Schlabrendorff, der schon ein Jahr vor dem 20.Juli 1944 zusammen mit seinem Freund und Vorgesetzten Henning von Tresckow ein Attentat auf Hitler gewagt hat.
Am 1. Juli 1907 als Sohn eines preußischen Generals in Halle (Saale) geboren, arbeitete Schlabrendorff als Jurist im preußischen Innenministerium. Er war verheiratet mit Luitgarde von Bismarck, einer Enkelin der Widerstandskämpferin Ruth von Kleist-Retzow. Als Leutnant der Reserve wurde er Adjutant seines Vetters Henning von Tresckow, der zu den führenden Köpfen der militärischen Opposition gehörte. Nach seiner Entscheidung für den aktiven Widerstand diente er als geheimer Verbindungsmann zwischen Tresckows Hauptquartier an der Ostfront und der Verschwörergruppe in Berlin um General Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler.
Als Hitler die Heeresgruppe Mitte in Smolensk am 13. März 1943 besuchte, schmuggelten Tresckow und Schlabrendorff zwei als Kognakflaschen getarnte Bomben an Bord von Hitlers „Condor“. Die von Schlabrendorff aktivierten Zünder waren so eingestellt, dass das Flugzeug 30 Minuten nach dem Start auf dem Rückflug abstürzt. Das Attentat misslang, weil jemand die beiden Flaschenbomben arglos im Frachtraum der Maschine verstaut hatte, so dass die englischen Zünder wegen der tiefen Temperaturen in Flughöhe vereisten. Mit Glück und Geschick gelang Schlabrendorff in der „Wolfsschanze“ der Austausch der explosiven Präsente gegen echte Kognakflaschen. Während der Rückfahrt nach Berlin stellte er fest, dass der Schlagbolzen, der die Explosion hätte auslösen sollen, zwar nach vorn geschlagen war, das Zündhütchen sich aber nicht entzündet hatte.
Von dem gescheiterten Anschlag hätte die Welt nicht erfahren, wenn Schlabrendorff den Rachefeldzug des Regimes nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 nicht überlebt hätte. Die Vorsehung wollte es, dass am Tag der Verhandlung gegen ihn am 3. Februar 1945 vor dem Volksgerichtshof, dessen Präsident Roland Freisler bei einem Luftangriff im Gerichtsgebäude von einem Balken tödlich getroffen wurde, die Verfahrensakte Schlabrendorff in der Hand.
Am 16. März 1945 wurde Schlabrendorff überraschend freigesprochen, von der Gestapo aber sofort erneut verhaftet und in das Konzentrationslager Flossenbürg verschleppt, wo im April an seinen Mitstreitern Admiral Wilhelm Canaris, General Hans Oster und dem Theologen Dietrich Bonhoeffer das Todesurteil vollstreckt wurde. Vor seiner glücklichen Befreiung in Südtirol durch US-Soldaten hatte ihn die Gestapo noch in die Konzentrationslager Dachau und Innsbruck verlegt.
Sein 1946 erschienenes Buch „Offiziere gegen Hitler“ hat das Bild von den Verschwörern des 20. Juli stark geprägt, aber nicht verhindert, dass die am Widerstand Beteiligten noch lange danach als Verräter verleumdet wurden und ihnen Hass entgegen schlug.
Nach dem Kriegsende war Schlabrendorff als Rechtsanwalt und Notar in Frankfurt/Main und in Wiesbaden tätig. Als Richter am Bundesverfassungsgericht von 1967 bis 1975 hat der als weltoffen und sehr gebildet beschriebene Jurist, der sich schon frühzeitig für Geschichte, Theologie, Philosophie und Außenpolitik interessiert hat, an der für die innerdeutschen Beziehungen so wichtigen Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR 1973 mitgewirkt.
Gestorben ist von Schlabrendorff am 3. September 1980 in Wiesbaden. Seine letzte Ruhestätte hat er auf dem kleinen Friedhof in Morsum auf Sylt gefunden, zusammen mit seiner Frau Luitgarde.
Über seinen Tod hinaus bleibt Fabian von Schlabrendorff vor allem als Widerstandskämpfer in Erinnerung. Sein Buch „Offi ziere gegen Hitler“ hat als erstes Werk über den militärischen Widerstand gegen das NSRegime seit 1946 mehrere Auflagen erlebt und weit über Deutschland hinaus Beachtung gefunden. Unvergessen sind seine Gedenkreden 1957 und 1967 am 20. Juli im Ehrenhof des Bendlerblocks in der Stauffenbergstraße. Sie sind Zeugnis für die Legitimität des Widerstandes:
„Wir vom Widerstand kämpften gegen den Nationalsozialismus, aber für Deutschland. Das ist das Charakteristikum der nationalsozialistischen Zeit,welches die Männer des Widerstands während des Tages nicht losließ und ihnen über die Nacht den Schlaf raubte... Was den Nationalsozialismus charakterisiert, ist die Tatsache, dass er statt des Rechts das Unrecht, statt der Freiheit die Wirrnis, statt der Wahrheit die Lüge, statt der Menschlichkeit die Brutalität zum tragenden Prinzip erhob... Der Nationalsozialismus ist nicht der Unglaube an die Macht des Gewissens im Menschenherzen, der Nationalsozialismus ist der Gegenglaube an die Macht der Willkür...“
Zum Vorwurf des Hochverrats gegen die Toten des 20. Juli hat der spätere Verfassungsrichter 1957 ausgeführt:
„Man spricht von Hochverrat, aber man vergisst dabei, dass ein Staat nur bestehen kann, wenn er auf dem Boden der Sittlichkeit gegründet ist und die Staatsführung die Unsittlichkeit zum tragenden Prinzip macht, wenn eine Kluft sich ergibt, die nur geschlossen werden kann: durch Revolution. Es gibt eben Zeiten, in denen muss, um das Recht wiederherzustellen, das Gesetz gebrochen werden...“
Dem Vorwurf vom Bruch des Fahneneides begegnete Schlabrendorff mit Friedrich dem Großen: „Das Volk ist von seiner durch den Eid geleisteten Treupflicht enthoben, wenn der Herrscher seine oberste Pflicht, für das Wohl des Volkes zu sorgen, verletzt hat“. Und: „Ich habe ihn zum General gemacht, damit er weiß, wann er nicht zu gehorchen hat.“
Der Stelle nahe, an der in der Nacht vom 20. zum 21. Juli 1944 General Olbricht, Oberst Graf von Stauffenberg, Oberst Ritter Mertz von Quirnheim und Oberleutnant von Haeften hingerichtet wurden, hat Schlabrendorff 1967 für die Toten des Widerstandes den Respekt gefordert, der ihnen gebührt: „Auf eines freilich warten die Toten heute noch, dass eine Zeit heran bricht, die sie allgemein als Mahner und Patrioten bewertet und ehrt.“
Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes vor 60 Jahren sind die Saatkörner aufgegangen, die die Männer und Frauen des Widerstandes für eine neue Welt gelegt haben. Das lebenslange Wirken Fabian von Schlabrendorffs hat dazu beigetragen, dass ihr Vermächtnis von den Deutschen längst angenommen worden ist.
Im Gegensatz zu „Operation Walküre“ wird der Film „Die Stunde der Offiziere“ (ZDF 2004), den ARTE am 24. Juni 2009 dankenswert erneut ausgestrahlt hat, Schlabrendorffs Teilhabe und seiner Bedeutung gerecht. Er, der nach Auskunft seiner Söhne es abgelehnt hätte, als Held bezeichnet zu werden, wird gar als „eher ängstlich veranlagt“ beschrieben. Er war ein stiller Attentäter, ein Patriot, der für sein Vaterland mehr als andere zu geben bereit war.
Erschienen in FREIHEIT UND RECHT 2009 / 3+4