Der dritte Extremismus

Islamistische Bewegung aus der Sicht der Politikforschung

Von Miroslav Maresˇ

Extremismusforscher haben sich lange Zeit hauptsächlich mit der Problematik der verschiedenen Varianten des Links- und Rechtsextremismus beschäftigt. Jetzt widmen sie auch einer militanten und intoleranten Durchsetzung des fanatisch interpretierten Islam sehr große Aufmerksamkeit, weil diese dritte Form einer extremistischen Bewegung die westlichen Demokratien vom Innen und Außen gefährdet. Es ist möglich, den Islamismus mit dem bisherigen Instrumentarium der sog. Extremismus-Theorie zu erforschen sowie mit anderen Extremismen zu vergleichen.

Islamismus als eine Form des Extremismus

Wenn man den Islamismus als Extremismus bezeichnen will, sollte nicht vergessen werden, dass eine solche Betrachtung auch eine präzise Definition erfordert. Es ist kaum möglich und wäre falsch, den Islam als ganze Religion sowie die politische Dimension dieser Religion als extremistisch zu bezeichnen. Es existieren verschiedene Varianten des Islam, und manche Interpretationen sind mit der gegenwärtigen europäischen Demokratie vereinbar. Islamismus als eine Variante des Extremismus soll also nicht alle politischen Varianten des Islams einschließen, sondern nur diejenigen, die extremistische Merkmale erfüllen.

Für alle Extremisten typisch sind die antidemokratischen Ideen, die fanatische Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, die Sicht auf die Welt durch Verschwörungstheorien und durch Freund-Feind-Stereotypen. Extremisten sind oft auch gewaltbereit, zum Mindesten während der geplanten Machtergreifung und im Rahmen der Konsolidierung der diktatorischen Regimes. Alle diese Kriterien können wir auch im Islamismus finden.

Islamismus lässt sich als eine spezifische Variante des religiösen Extremismus betrachten. Es gibt verschiedene Versuche, den Islamismus als rechtsextremistische oder linkextremistische Ideologie zu analysieren. Das ist aber nach meiner Meinung die falsche Richtung. Es existieren mehrere Varianten des Extremismus (nicht nur Linksextremismus und Rechtsextremismus), so auch der religiöse Extremismus. Diese Bezeichnung soll nicht die politische Dimension solchen Extremismus verschweigen, sondern zeigen, wo eine bestimmte Variante des Extremismus die primäre Begründung für seine Ideen findet. Andere Varianten des religiösen Extremismus sind gegenwärtig nicht so stark und aggressiv wie der Islamismus. Das gilt auch für den christlichen Extremismus, der aber oft mit dem Rechtsextremismus verbunden ist. Kommunisten und andere Linksextremisten sind meistens fanatisch anti-religiös orientiert, doch viele Experten sprechen vom Kommunismus, aber auch vom Nationalsozialismus als politische Religionen.

Netzwerk der Intoleranz

Islamismus nutzt verschiedene dogmatische und fanatische Interpretationen des Koran zur Bildung der kollektiven Identität seiner Anhänger. Diese fühlen sich als eine Avantgarde, die die einzig richtige Deutung der Religion predigt. Deshalb sind die Islamisten stark intolerant gegenüber Andersdenkenden und wollen in den geplanten islamistischen Theokratien die Opposition brutal beseitigen. Islamisten möchten totalitäre theokratische Regimes einführen. Regional orientierte Islamisten wollen insbesondere die Macht in räumlich begrenzten Regionen gewinnen. Die globale islamistische Bewegung (deren Teil aber auch die Regionalislamisten sind) will in der langfristigen Perspektive die islamische Theokratie in den ganzen Welt einführen. Die vorrangigen Ziele aber sind die Beendigung der angeblichen „Verwestlichung“ des islamischen Raumes, die Beendigung der militärischen und ökonomischen Präsenz der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten in der islamischen Welt sowie die Zerstörung Israels.

Den Grundstein der gesellschaftlichen Ordnung bildet dabei laut Islamisten das dogmatisch interpretierte Recht der Scharia. Die islamistische Auslegung der Religion steht mit den Werten der modernen Demokratie in Konflikt. Obgleich Islamisten aus taktischen Gründen die prozessualen Mechanismen der Demokratie respektieren und vor allem benutzen, negieren ihre Zielvorstellungen die demokratischen Ideen. In dieser Hinsicht, diesem grundsätzlichen Widerspruch, sind sie den anderen Extremisten sehr ähnlich.

Wichtig ist, Islamismus als eine Bewegung zu verstehen, die in verschiedenen Formen existieren kann. Die islamistischen Bewegungen sind am stärksten im traditionellen islamischen Raum, wo sie sich besonders als die Kämpfer gegen korrumpierte säkulare und/oder angeblich westlich orientierte Regimes präsentieren. Hier können die Islamisten in politischen Parteien (wenn zu Wahlen zugelassen), aber auch als bewaffnete (häufig terroristische) Organisationen wirken. Die Kombination des politischen und des bewaffneten Flügels in einer Organisation ist relativ üblich. Die islamistischen Regimes oder Teile des Staatsapparates der anderen Regimes, die unter islamistischen Einfluss stehen, können die islamistischen Ziele auch durch Staatseinrichtungen durchsetzen, u.a. mit der Hilfe der Geheimdienste oder der kulturell-religiösen Einrichtungen. Es existieren auch verschiedene islamistische Stiftungen, die in den Bereichen Mission, Caritas, Bildung oder Kultur tätig sind. Einzelne Personen sind auch der finanziellen Unterstützung des bewaffneten Kampfes, einschließlich des Terrorismus, verdächtig.

Eine immer wichtigere Rolle in der globalen Strategie des Islamismus spielen auch die islamistischen Zellen in den muslimischen Kommunitäten in westlichen Staaten. Diese Zellen bilden die Grundlage für terroristische und militante Strukturen (auch für die Rekrutierung von Kämpfern für die Kriege im traditionellen islamischen Raum) sowie für öffentlich agierende Interessengruppen und für islamistische politische Parteien, die in der letzen Zeit in westlichen Staaten gegründet wurden. Die globalen Netzwerke, die aus staatlichen sowie nichtstaatlichen Akteuren bestehen, die Kombination der regionalen und globalen Ziele sowie Fanatismus und Intoleranz sind Merkmale, die viele Ähnlichkeiten zur früheren Expansion des Faschismus sowie Kommunismus zeigen.

Methoden der Islamisten

Wie die verschiedenen Erscheinungsformen des Islamismus zeigen, kombinieren diese Extremisten unterschiedliche Methoden der Durchsetzung der eigenen Interessen. Die Propaganda, die an die potentiellen Anhänger gerichtet ist, ist eng mit dem Schreckenspotential der islamistischen Gewalt verbunden, die sich gegen Andersdenkende richtet. Es ist interessant, dass auch viele Links- sowie Rechtsextremisten als „bewaffnete Avantgarde“ aufgetreten sind, wobei diese ähnlich wie die Islamisten zeigen wollten, dass der Kampf möglich ist und dass die Massen der Avantgarde folgen können.

Die Formen der Gewalt sind oft unterschiedlich. Die islamistischen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung sind mehr mit mancher rechtsextremistischen Gewaltattacke vergleichbar als mit den selektiven Attentaten der westeuropäischen Linksterroristen. Jedoch sind die terroristische Kommunikationsstrategie und die Ausnutzung der Medien sehr ähnlich. Im Unterschied besonders zu Linksextremisten (aber teilweise auch zu Rechtsextremisten) spielt für Islamisten eine Differenzierung der Begriffe Terrorismus einerseits und Guerilla und Partisanen anderseits, die die terroristische Tätigkeit verbrämen soll, keine so deutliche Rolle. Für Islamisten wichtig ist die Selbstdefinition als Djihad-Kämpfer, und hier haben die westlichen sprachlichen (aber auch rechtlichen) Nuancen keine Bedeutung. Doch die Selbstbezeichnung als Terrorist ist auch unter den gewaltbereiten Islamisten unpopulär, und häufig charakterisieren sie sich selbst als Widerstandsbewegung. Wie schon gesagt wurde, üben die Islamisten nicht nur Gewalt aus. Auch die Propaganda durch karitative Tätigkeit zeigt viel Ähnlichkeit mit der kommunistischen Hilfe in der dritten Welt oder mit der faschistischen Unterstützung für Teile der Arbeiterklasse. Durch die Medialisierung solcher Aktivitäten können die Extremisten das gewollte Selbstbild propagieren. Die eigenen Medien sind für alle Extremisten sehr wichtig, aber auch in fremden Medien können sie sich oft wegen diverser Provokationen durchsetzen.

Islamisten sind erheblich gegen die modernisierende soziale Verwestlichung der islamischen Gesellschaft eingestellt, anderseits aber sehr bereitwillig bei der Ausnutzung der modernen Technologie (z.B. Internet- Propaganda). Diese Apotheose des technologischen Fortschritts in der Verbindung mit dem antidemokratischen Denken wurde auch für den Faschismus sowie für den Kommunismus kennzeichnend.

Islamismus als ein Bestandteil der „antidemokratischen Front“?

Die ähnlichen Merkmale von Islamismus, europäschem Rechtsextremismus und Linksextremismus können auch zur Frage führen, ob diese Strömungen untereinander ihre Tätigkeit koordinieren und ob alle zusammen so etwas wie eine gemeinsame „antidemokratische Front“ bilden. Die Antwort ist nicht eindeutig. Obwohl viele gemeinsame Interessen existieren und verschiedene Links- sowie Rechtsextremisten mit Islamisten in Kontakt getreten sind, sind die Zielvorstellungen der verschiedenen Extremisten deutlich unterschiedlich. Doch das Motto „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ gilt für viele Beispiele aus der gegenwärtigen extremistischen Szene. Gemeinsamer Antisemitismus führt zur gegenseitigen Unterstützung der neonazistischen sowie islamistischen Holocaust- Leugner, wie auch die „International Conference to Review the Global Vision of the Holocaust“ im Dezember 2006 in Teheran gezeigt hat. Auch die gegenseitige Unterstützung in der Verbreitung anderer Verschwörungstheorien ist häufig. Besonders gilt das für dieselben Thesen über die angebliche amerikanisch- israelische Verschwörung im Bezug auf den 11. September 2001, die man in der linksextremistischen, rechtsextremistischen wie islamistischen Propaganda finden kann. Die Linksextremisten unterstützen zumindest verbal den Widerstand im Irak, in Palästina oder in Afghanistan. Es ist aber eine Tatsache, dass größere Popularität in den linksextremistischen Kreisen die linksorientierten militanten Bewegungen aus dem traditionellen islamischen Raum haben, aber da diese gegenwärtig schwach sind, werden auch Organisationen wie Hamas oder Hizballah in den ultralinken Medien glorifiziert.

Anderseits sehen aber die Linksextremisten islamische Dogmen als Problem (z.B. in Frauenrechtsfragen). Sie hoffen häufig, dass der Aufstieg des Islamismus nur eine zeitlich befristete Desorientierung der unterdrückten Massen signalisiert und dass diese Massen späterdie „echte Wahrheit“ in den einzelnen Varianten des Linksextremismus finden. Deshalb versuchen Linksextremisten, mit islamistischen Gruppierungen in verschiedenen Bereichen (besonders im Rahmen der Antikriegsbewegung) zusammenzuarbeiten. Besonders viele Trotzkisten erproben in der neuen Hülle der breiten Antikriegskoalitionen ihre traditionelle Strategie des Entrismus. Aber die Islamisten sehen diese Aktivitäten nur als ein Mittel, die westlichen Gesellschaften weiter zu destabilisieren. Auch viele Rechtsextremisten stehen zur engen Zusammenarbeit mit den Islamisten relativ kritisch, weil sie die Islamophobie der Öffentlichkeit für ihre Zwecke ausnutzen wollen. Die Hetze gegen die islamische Immigration und eine gleichzeitige Unterstützung des islamistischen Kampfes sehen sie als schizophren und kontraproduktiv. Der Bezug zum Islamismus bildet gegenwärtig eine wichtige Trennlinie innerhalb des europäischen und nordamerikanischen Rechtsextremismus.

Zusammenfassung

Islamismus ist eine globale intolerante Bewegung (aber keineswegs repräsentiert er den ganzen Islam!), die aus verschiedenen Akteuren zusammengesetzt ist und die auch sehr unterschiedliche Methoden nutzt (z.B. Terrorismus, Caritas, quasidemokratischer Wahlkampf etc.). Islamismus zeigt viele Ähnlichkeiten mit den „traditionellen“ Varianten des Links- sowie Rechtsextremismus. Andererseits unterscheiden sich die Zielvorstellungen der einzelnen Extremismen voneinander. Dennoch: die gegen den modernen demokratischen Verfassungsstaat gerichteten Bestrebungen der verschiedenen Extremisten sind der Kern ihrer Gemeinsamkeit, nie heben sie sich gegenseitig auf, sondern sie summieren sich zu einer realen und gefährlichen Tatsache.

Der vorliegende Beitrag wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „Politische Parteien und Vertretung der Interessen in den europäischen Demokratien von heute“(Code MSM0021622407) erarbeitet.

 

Der Autor: Der Extremismusexperte Dr. Dr. Miroslav Maresˇ ist Forschungsassistent der Politikwissenschaft an der Fakultät für Sozialstudien der Masaryk-Universität in Brno (Brünn), Tschechien.

 

Erschienen in: FREIHEITNUND RECHT 2007 / 2

 

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