Als Liberaler im Gelben Elend in Haft

Walter Nienhagen starb 80-jährig in Siegen

Von Gerald Wiemers

Er gehörte zum engeren Kreis um Wolfgang Natonek, dem letzten demokratisch gewählten Studentenratsvorsitzenden an der Universität Leipzig. Wie er gehörte Walter Nienhagen zur liberalen Studentengruppe. Beide wurden am 11. November 1948 vom sowjetischen Geheimdienst NKWD auf Geheiß deutscher Spitzel verhaftet und monatelang verhört. „Mein Wirken“, schreibt Nienhagen später, „galt einer freiheitlichen, menschlichen Ordnung in einem demokratischen Rechtsstaat, den wir in den hinter uns liegenden Jahren so schmerzhaft vermissen mussten. 1948 war ich Mitglied des Stadtvorstandes Leipzig der LDP.“ Der Weg in die SPD blieb ihm und vielen anderen verschlossen, weil die Partei in der Sowjetischen Besatzungszone mit der KPD zwangsweise zusammen geschlossen worden war. Zuletzt arbeitete Nienhagen im Landesjugendausschuss und im Vorstand des Landessozialausschuss der LDP in Sachsen. Bereits als 11-jähriger hatte der Schüler antifaschistische Flugblätter aus dem Fenster der großelterlichen Wohnung geworfen und wurde deshalb von der Gestapo verhört.

Geboren am 6.Mai 1927 in Leipzig, wurde er mit 15 Jahren zum Flak-Helfer und bald darauf noch zur Wehrmacht eingezogen. Am 8. Mai 1945 geriet er in jugoslawische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung 1947 besuchte Nienhagen die Nikolaischule in Leipzig, bestand 1948 das Abitur und begann mit dem Studium der Geschichte, mit den Nebenfächern Germanistik und Geografie, an der Universität Leipzig, das nur kurz währte. Im Rahmen des politischen Widerstandes gegen die kommunistische Vorherrschaft gehörte er zu den Mitbegründern eines „Antikommunistischen Aktionskomitees“, dem noch Helmut Stelling, Rudolf Georgi und Manfred Gerlach angehörten. „Verurteilt wurden“, wie er 2002 schreibt, „Nienhagen, Stelling und Georgi zu 25 Jahren, Heinz–Jochen Pertzsch und Hans Hellmann zu 20 Jahren.“

Fast 14 Monate dauerte die NKWD-Untersuchungshaft in den NKWD-Gefängnissen in Dresden am Münchner Platz und in der Bautzner Straße. Bei der Verhandlung am 7. Januar 1950 verurteilte ein sowjetisches Militärgericht Walter Nienhagen zu 25 Jahren Arbeitslager. Die Verurteilung erfolgte nach dem Strafgesetzbuch der Russischen Förderation wegen „Spionage“ und „antisowjetischer Propaganda“. Dieser Akt erfolgte im krassen Widerspruch zur Verfassung der DDR. Nur wenig später wurde der 23-jährige nach Bautzen in das sogenannte „Gelbe Elend“ gebracht. Nach über acht Jahren wurde er am 26.Nov. 1956 in die Bundesrepublik Deutschland entlassen. Einige Monate zuvor, am 3. Mai, wurde er Mitglied der SPD. Ein Mithäftling, der einige Monate früher frei kam, hatte Nienhagens Antrag heraus geschmuggelt. Und so wird er noch als Gefangener in Bautzen Mitglied einer demokratischen Partei. Darüber hat er nicht ohne Stolz vor einigen Jahren in Leipzig berichtet. Vor dem Hintergrund der eigenen bitteren Erfahrungen hat er davor gewarnt, mit den Kommunisten zusammenzugehen. So ist er eigens nach Berlin gefahren, um die Rot-Rote rot-rote Koalition zu verhindern. Vergebens, wie wir wissen. Am 21. Januar 1990 ist Walter Nienhagen vom obersten Militärstaatanwalt der Russischen Förderation rehabilitiert worden.

Nienhagen studierte von 1957 bis 1961 an der Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven und schloss als Diplom-Sozialwirt ab. Er arbeitete als Angestellter und leitender Angestellter in der Stahlindustrie. Über 35 Jahre engagierte sich Nienhagen ehrenamtlich in der Kommunalpolitik, erst als Gemeindevertreter und später als Stadtverordneter in Siegen. 15 Jahre war er Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein. Besonderes Gewicht legte er auf die Pflege der deutsch-jüdischen Beziehungen. Für diese erfolgreichen Tätigkeiten ist er mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet worden. Von 1970 bis 1996 gehörte Nienhagen der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands an..

 Nienhagen war sehr reiselustig und hat meist dienstlich 135 Länder besucht. In seine Geburtsstadt Leipzig ist er nach der friedlichen Revolution 1989 häufig gekommen: zu offiziellen Veranstaltungen, zu Klassentreffen oder ins Universitätsarchiv. Das Studium der Geschichte blieb ihm in Leipzig verwehrt, aber in Siegen hat er als Sozialpolitiker und engagierter Christ Geschichte geschrieben.

Walter Nienhagen starb am 16. Dezember 2007 in Siegen, ein halbes Jahr nach seinem 80.Geburtstag. Der verdienstvolle Mann wird allen, die ihn kannten, in dankbarer Erinnerung bleiben.

 

Erschienen in: FREIHEIT UND RECHT 2008/ 1 + 2

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