Universalität und Unteilbarkeit sind das Fundament der Menschenrechte
von Volker Beck MdB
Auch 60 Jahre nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen sind wir noch immer weit von der weltweiten Akzeptanz ihrer universellen Gültigkeit entfernt. Es sind gerade die Universalität und die Unteilbarkeit der Menschenrechte, die immer wieder zu Diskussionen insbesondere mit Unrechtsregimen führen. Dies sind aber die beiden wichtigsten Merkmale der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, das Fundament, auf dem die in der Erklärung postulierten Rechte stehen. Sobald man die Universalität und die Unteilbarkeit in Frage stellt oder bürgerliche und politische Rechte gegen die Verbesserung der sozialen Lage ausspielt, hat man Pandoras Box geöffnet. Was sind die Menschenrechte wert, wenn Sie nicht für alle und nicht überall gelten oder wenn an der Verbesserung der sozialen Lage ethnische, religiöse oder sexuelle Minderheiten oder politische Dissidenten nicht in gleicher Weise partizipieren? Nichts, sie verlieren damit ihren Anspruch, dass man sie nicht erwirbt, sondern als Mensch unveräußerlich besitzt. Und wenn diese Relativität auch in den westlichen Demokratien um sich greift, dann verliert man an Glaubwürdigkeit gegenüber Unrechtsregimen die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern. So wurde das Gefangenenlager in Guantánamo Bay die Achillesferse der Menschenrechtspolitik nicht nur der USA und ihrer Verbündeten, sondern des „Westens" insgesamt. Besonders schädlich dabei war, dass die USA räumlich festgelegt hatten, wo die Menschenrechte gelten (im Territorium der USA), und wo nicht (außerhalb ihres Territoriums, in Guantánamo). Und sie hatten inhaltlich verkündet, wer Menschenrechtsschutz genießt und wer nicht, und hatten für die letztere Kategorie eigenmächtig Kriterien entworfen, die jenseits des geltenden Völkerrechts standen.Ein Argument, was in dieser Diskussion gerade auch im Dialog mit Staaten wie China oder den islamischen Staaten immer wieder zum Tragen kommt, ist der Vorwurf, die Menschenrechte seien eine westliche Idee und nicht mit der jeweilig anderen, z. B. chinesischen oder islamischen Kultur vereinbar.Zweifellos. Die Idee der Menschenrechte ist eng verbunden mit dem Humanismus und der im Zeitalter der Aufklärung entwickelten Idee des Naturrechts. Und doch ist dieser Vorwurf falsch, denn es sind ja unmittelbare, grundlegende und damit kulturell unabhängige menschliche Bedürfnisse wie z.B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf Leben, auf Freiheit, auf Familie, auf Nahrung, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den in ihrer Folge formulierten Menschenrechtspakten ihren Ausdruck finden. So wie das Gesetz der Schwerkraft zwar im Westen entdeckt worden ist, so gilt es doch auch in China, Russland oder Usbekistan. Ausgangspunkt des Vorwurfes ist also eher, dass die Universalität und die Unteilbarkeit der Menschenrechte nicht ohne weiteres mit dem politischen System in diesen Ländern vereinbar ist. Ein Zustand, der veränderbar ist und verändert werden muss.
Doch nicht nur in China ist es nicht weit her mit der Unteilbarkeit der Menschenrechte. Da wird in Moskau eine Demonstration von Homosexuellen unter einer seltsamen Auslegung der auch in Russland geltenden Versammlungsfreiheit und des Demonstrationsrechts verboten, da die Meinung der Mehrheit der Bevölkerung gegen Homosexualität sei. Da spricht der Vatikan von der Notwendigkeit der Einhaltung der Menschenrechte, meint damit aber auch nur die, die mit der katholischen Lehre im Einklang stehen (also z. B. kein Recht auf Familie für Homosexuelle). Die Mitgliedstaaten der Islamischen Konferenz beschließen eine eigene „Kairoer Erklärung der Menschenrechte", die die Scharia als alleinige Grundlage für Menschenrechte definiert. Und ganz aktuell möchte die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag auch keine nachweislich unschuldigen Gefangenen aus Guantánamo aufnehmen, da diese „keinen Deutschlandbezug" hätten (und riskiert damit, dass das Lager Guantánamo mit seinen Menschenrechtsverletzungen noch eine ganze Weile existiert), gleichzeitig setzt man sich vehement für die Aufnahme irakischer Christen ein. Hier ist der Deutschlandbezug richtigerweise auf einmal unwichtig. Dass die Aufnahme von Flüchtlingen immer allein an der Schwere der Verfolgung und der Notlage ausgerichtet sein sollte und nicht an der Religionszugehörigkeit oder dem Bezug zu Deutschland, wird hier ignoriert. Was wäre eigentlich gewesen, wenn auch Syrien nur die muslimischen Flüchtlinge aus dem Irak aufgenommen hätte?Es ist das wichtige Menschenrecht der Religions- und Glaubensfreiheit, das regelmäßig auf eigentümliche Weise interpretiert wird. Religions- und Glaubensfreiheit bedeutet, die eigene Religion ausüben zu können, sich gemeinsam mit anderen zu ihr bekennen zu können, bei anderen für die eigene religiöse Überzeugung werben zu können, die angestammte Religion verlassen zu können oder nicht zu glauben, was andere für eine religiöse Wahrheit halten. Die Religions- und Glaubensfreiheit wird nicht dadurch verletzt, dass man Glaubensinhalte und Aussagen von Vertretern dieser Glaubensrichtungen kritisiert. Im Gegenteil ist eine solche Kritik ebenso von der Meinungsfreiheit gedeckt wie die Aussagen der Glaubensvertreter selbst (solange diese keine anderen Gesetzt berühren, wie z. B. den Tatbestand der Volksverhetzung). Religions- und Glaubensfreiheit bedeutet ja auch explizit das Recht nicht zu glauben, was andere für religiöse Wahrheit halten. Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit unterliegt dort Schranken, wo es mit anderen Menschenrechten und Grundfreiheiten kollidiert. Menschenrechtsverletzungen unter dem Deckmantel der Religion können nicht toleriert werden. Wenn jetzt bevorzugt christliche Flüchtlinge aus dem Irak aufgenommen werden sollen, dann ist dies auch eine Verletzung der Religions- und Glaubensfreiheit. Anstatt das Kriterium der Schutzbedürftigkeit anzusetzen, wie in solchen Fällen üblich, soll die Religionszugehörigkeit ausschlaggebend sein, und damit werden Anhänger anderer Religionen diskriminiert. Unzweifelhaft würde auch das Kriterium der Schutzbedürftigkeit auf eine Vielzahl von Christen zutreffen, die unter schweren Menschenrechtsverletzungen im Irak leiden. So wird aber ohne Not ein fatales Signal ausgesendet: Wir kümmern uns nur um „unsere" Leute. Die Universalität und die Unteilbarkeit der Menschenrechte verbieten aber eine solche Sichtweise. In Artikel 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heisst es: Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.In vielen Ländern, auch in der Bundesrepublik, klaffen also noch - größere oder kleinere - Lücken zwischen dem Anspruch der Unteilbarkeit und Universalität der Menschenrechte und seiner Umsetzung. Ist dies der Fall, so sollten die betroffenen Länder alles daran setzen, die Menschenrechtslage ihrer Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Hier gibt es gerade in Russland und in China gravierende Defizite. Da dies jedoch ein politisches und eben kein kulturelles Problem ist, lohnt es sich, sich für die Menschenrechte politisch zu engagieren. Glaubwürdigkeit durch Konsistenz im eigenen Handeln ist die Voraussetzung, um auf Dauer politischen Druck auf Länder mit erheblichen Menschenrechtsdefiziten aufzubauen.
Erschienen in: FREIHEIT UND RECHT 2009 / 1