Wunsiedel wehrt sich gegen den Aufmarsch der Rechtsextremisten
von Peter Pezolt
1. Wunsiedel, eine Kleinstadt im Fichtelgebirge
Auf den ersten Blick lässt sich nicht sofort feststellen, warum gerade Wunsiedel in den engen Kontext mit dem Nationalsozialismus gekommen ist. Wunsiedel, eine Kleinstadt im Fichtelgebirge , die heute noch im Kern geprägt ist von einer Landschaft mit Felslabyrinthen, Mooren und dichten Wäldern. Eine Landschaft also, die eher den Einsamkeit liebenden Wanderer und damit den Fremdenverkehr anzieht, als mit Größen des nationalsozialistischen Herrschaftsregimes in Verbindung gebracht zu werden.
Die Fragen sind allerdings schnell beantwortet. In Wunsiedel wurde Rudolf Heß nach seinem Tode beigesetzt. Die Kirchengemeinde hatte damals in einem Akt christlicher Nächstenliebe und der Barmherzigkeit der Bestattung auf dem Friedhof in der oberfränkischen Kleinstadt zugestimmt. Rudolf Heß stammte aus einer alten Fichtelgebirgsfamilie. Er hatte zwar nie in Wunsiedel selbst gelebt, sondern in einem nahe gelegenen Dorf, hatte aber noch zu seinen Lebzeiten bestimmt, dass er in der Familiengrabstätte auf dem Wunsiedeler Friedhof beerdigt werden sollte.
Einige Zahlen und Fakten zu Wunsiedel erklären die Stadt näher. Sie zählt 10.300 Einwohner, die Verwaltungsfläche erstreckt sich auf 54,687 qkm. Das Stadtgebiet von Wunsiedel liegt auf einer Meereshöhe zwischen 535 und 680 Meter. Die Bebauung breitet sich in einem Talkessel aus, der rundum von teils bewaldeten Hügeln eingerahmt wird.
Wunsiedel besitzt heute neben verschiedenen Ämtern und verschiedenen auch weiter führenden Schulen noch regionaltypische Industriezweige wie Porzellan- und Steinverarbeitung. Ihre herausgehobene Bedeutung erlangte sie allerdings als Fremdenverkehrs- und Festspielstadt. Und genau diese Eigenschaft als Festspielstadt will Wunsiedel mit vielen Aktionen und Veranstaltungen, die Gäste aus nah und fern in die Stadt locken sollen, erhalten und stärken. Aus dieser Warte betrachtet ist nachvollziehbar, dass sich die Bürgerschaft in Wunsiedel und allen voran der Bürgermeister der Stadt gegen die jährliche Heimsuchung durch einen Neonazi-Aufmarsch zur Wehr setzen.
2. Die Bevölkerung Wunsiedels und ihre Einstellung zu dem Geschehen
In zunehmendem Umfang und steigender Kreativität machte die Wunsiedeler Bevölkerung in den Jahren 2002 bis 2004 deutlich, dass sie entschieden gegen die rechtsextremistischen Aufmärsche Front machen wollte. Ein aktives Bürgerengagement war für Wunsiedel im Besonderen, aber auch für weitere Bereiche im Allgemeinen festzustellen. Unter dem Motto: „Wunsiedel ist bunt nicht braun“ entwickelte sich eine Bürgerinitiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, mit fantasievollen Aktionen des bürgerlichen Protests gegen die ewig Gestrigen und ihr Gedankengut anzutreten und die sich als Botschafter für Demokratie und Toleranz verstand und versteht. Sie wurde aufgrund ihrer kreativen Aktionen beim friedlichen Protest und ihres zivilen Engagements 2005 von den Bundesministern Otto Schily und Brigitte Zypries dafür ausgezeichnet.
Diese zunehmende Gegenwehr in jenen Jahren war natürlich nicht nur auf Wunsiedel beschränkt, sondern es zeigte sich, dass Bürger in ganz Deutschland gegen die rechtsextremistische Propaganda und ihre Aktionen Front machten. Man darf sogar daraus schließen, dass sich in der Gesellschaft ein steigendes Demokratiebewusstsein im Kampf gegen den Rechtsextremismus erkennen lässt.
Der Bürgerprotest hier im Fichtelgebirge ist sehr wohl nachvollziehbar, denn seit Rudolf Heß in Wunsiedel begraben liegt, wurde die Stadt mit ihren Bewohnern jährlich unfreiwillig zur Gastgeberin des „braunen“ Aufmarsches. Das ganze Jahr über pilgern schwarzgekleidete, meist junge Leute zur Grabstätte Heß, um dort ihr ehrendes Gedenken durch Ablegen von Gebinden und Schleifen zum Ausdruck zu bringen. Wenn dann der Todestag von Rudolf Heß, jährlich am 17. August, heranrückt, dann zieht die 10.000-Seelen-Stadt, die sich ja stolz als Festspielstadt präsentieren möchte, Rechtsextremisten aus ganz Europa an. Die Einwohner von Wunsiedel kennen ihr Schicksal, sie haben es jahrelang ohne Reaktion ertragen. Am Samstagmorgen um 06.30 Uhr erreichen die ersten Busse und Autos, teils in Konvois, die oberfränkische Kleinstadt. Erst vereinzelt, dann zu ganzen Gruppen, dann zu Hunderten und zum Schluss zu Tausenden laufen sie durch die Straßen und bilden schließlich einen Demonstrationszug zum Gedenken an Rudolf Heß. Mit einem Großaufgebot muss die Polizei an diesem Tag an den Einfallstraßen zur Stadt kontrollieren, das Geschehen in der Stadt beobachten und die Gruppierungen trennen. Es ist unschwer nachvollziehbar, dass an einem solchen Tag ein geordnetes Leben in der Stadt und für die Bürger nicht mehr möglich ist. Kaum eine Einkaufsfahrt gelingt, ohne dass der Weg in eine Polizeikontrolle führt oder auf Demonstrationsteilnehmer stößt. Zusätzlich fokussierte sich das gesamte Demonstrationsgeschehen, insbesondere wenn am Nachmittag alle Veranstaltungen ihrem Höhepunkt zustrebten, in einem dicht bebauten Areal in der Größenordnung von lediglich 500 mal 600 Meter. Nicht auszudenken war, falls es dort wegen eines Brandes zu einem Feuerwehreinsatz oder aufgrund eines anderen Ereignisses zu einem ärztlichen Notfalleinsatz hätte kommen müssen. Die Bürger von Wunsiedel ertrugen dies seit 2001 immer und immer wieder im Namen der Versammlungsfreiheit.
Den Makel eines solchen traurigen Ruhmes wollte man auf alle Fälle beseitigen. Man war optimistisch der Auffassung, dass es gelingen könnte, durch möglichst starke Gegenwehr der Stadt und ihrer Bürger die Veranstaltung von Wunsiedel fern zu halten.
Schließlich gelang dies ja auch mit der Novellierung des Versammlungsrechts im Jahre 2005. Die Initiativen der Wunsiedeler Bürger, insbesondere der juristische Sachverstand des bisherigen Landrats Dr. Peter Seißer, hatten darauf erheblichen Einfluss genommen.
3. Die Entwicklung der Rechtssprechung im Lichte der Ereignisse in Wunsiedel
Lange Zeit hatte Wunsiedel Ruhe vor den rechtsextremistischen Aufmärschen, und zwar seit 1991, als erstmals die Kundgebung anlässlich des Todestages von Rudolf Heß nicht in Wunsiedel stattfand. Der Grund für dieses Versammlungsverbot war in den massiven Ausschreitungen zwischen dem linken und rechten Lager im Jahr 1990 zu sehen. Trotz eines starken Kräfteaufgebotes der Polizei war es dort zu heftigen und gewalttätigen Auseinandersetzungen auch mit Polizeikräften gekommen. Aufgrund dieser massiven Ausschreitungen erließ das Landratsamt Wunsiedel daraufhin für das Jahr 1991 ein Versammlungsverbot und stützte dies auf § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz, da ähnliche Auseinandersetzungen wie im Vorjahr zu erwarten waren. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung war selbst unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nur durch ein Verbot der angemeldeten Versammlung möglich.
Zu jener Zeit waren die Anmeldungen noch von dem Herausgeber der rechtsextremistischen Zeitschrift „Wehr Dich!“, Berthold Dinter aus Rheda-Wiedenbrück, ausgegangen. Anschließend trat der heute noch aktive Rechtsextremist Christian Worch als Anmelder auf . Die Veranstalter beachteten das Versammlungsverbot in Wunsiedel. Rechtsanwalt Jürgen Rieger aus Hamburg meldete allerdings als Protest gegen das Verbot und seine verwaltungsgerichtliche Bestätigung einen Aufzug mit Auftakt- und Schlusskundgebung vor dem Verwaltungsgericht in Bayreuth an. Diese Versammlung wurde unter Auflagen zugelassen.
Dabei ist bedeutsam, dass das Verwaltungsgericht Bayreuth im späteren Hauptsacheverfahren am 28.04.1992 festgestellt hat, dass dieses Verbot zu Recht angeordnet wurde. In seiner Begründung führte es unter anderem aus, dass die Gegenkundgebungen zum Todestag von Rudolf Heß der Glorifizierung dieser Person als „Symbolfigur und leuchtendes Beispiel für die deutsche Jugend“ dienen sollte. Weiter führte es aus, es werde damit zugleich „die nationalsozialistische Ideologie verherrlicht, was die Verharmlosung der Verbrechen der NS-Diktatur einschließt. Das aber verstößt gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen und damit gegen die Öffentliche Ordnung. Schon dieser Grund rechtfertigt ein Versammlungsverbot.“
Die für das Jahr 1991 rechtlich bedeutsamen Verbotsgründe wirkten auch für die Folgejahre fort. Zwar waren von Berthold Dinter Versammlungen bis 1995 beim Landratsamt angemeldet worden, jedoch erfolgte schon im Jahr 1995 keine Konkretisierung der Anmeldung mehr. Die rechtskräftig gebliebenen Verbote der Vorjahre zeigten ihre Wirkung. Es gelang schließlich bis zum Jahr 2000, Kundgebungen und Aufzüge von Wunsiedel fern zu halten. Auf das Wegbrechen ihrer bisher zentralen Kundgebungsstätte reagierte die rechtsextremistische Szene mit dem Ausweichen auf Versammlungsorte wie in Rudolstadt (1992) oder Fulda (1993) und verlagerte die Aktionsorte schließlich sogar ins westlich benachbarte europäische Ausland nach Luxemburg (1994) und Dänemark (1995). Danach verfolgte man die Strategie der Aktionstage und Aktionswochen und rief schließlich gegen Ende der 90er Jahre zu dezentralen Aktionen, wie z.B. Geburtstagsfeiern, auf regionaler Ebene auf.
Die 10jährige Ruhe vor rechtsextremistischen Aufmärschen in Wunsiedel wurde im Jahr 2001 beendet. Erstmals fand wieder ein zentraler Rudolf-Heß-Gedenkmarsch statt. Für die Beantwortung der Frage nach dem „Warum“ bedarf es eines Blickes auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes.
Dieses hatte im März 2001 über einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches gegen eine Verbotsverfügung des Polizeipräsidenten Aachen vom 12. März 2001 zu entscheiden. Dieser Eilrechtsschutz übernimmt häufig bei Versammlungen unter freiem Himmel weitest gehend die Funktion des Rechtschutzes in der Hauptsache. Folglich bleibt eine abschließende höchstrichterliche Klärung strittiger Rechtsfragen oftmals aus.
Der Antragssteller wollte eine Kundgebung mit Aufzug mit dem Thema „Gegen die Kriminalisierung nationaler Deutscher und Niederländer – gemeinsamer Protestmarsch“ in der Nähe von Aachen durchführen. Dabei sollte der Aufzug auch niederländisches Gebiet erreichen und in die Stadt Kerkrade führen. Anschließend sollte der Aufzug wieder nach Herzogenrath, dem Ausgangsort der Versammlung, zurückkehren. Die Versammlungsbehörde hatte die Versammlung gem. § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz, unter anderem auch wegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung, verboten. Sowohl das Verwaltungsgericht wie auch das Oberverwaltungsgericht hatten sich mit weiterführenden Begründungen dieser Bewertung der Versammlungsbehörde angeschlossen. Daraufhin hatte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht beantragt. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Verbotsbescheid stattgegeben, jedoch bestimmte Auflagen formuliert, die die Durchführung der Versammlung beschränkten.
Es führte unter anderem aus, dass die Prognose der Versammlungsbehörde, im Rahmen solcher Versammlungen komme es immer wieder zu Straftaten nach den §§ 86, 86 a, 126 und 130 Strafgesetzbuch sowie zu Körperverletzungsdelikten und damit zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit, in dieser allgemein hinweisenden Form nicht geeignet wäre, ein Verbot zu rechtfertigen. Das Verfassungsgericht wies insbesondere darauf hin, dass es an einem hinreichend konkreten Bezug zu der vom Antragsteller geplanten Veranstaltung mangele .
Die weitaus gewichtigere Feststellung traf das Bundesverfassungsgericht jedoch im Hinblick auf die Begründung einer Gefährdung für die öffentliche Ordnung. Insbesondere sie scheide als Rechtsgrundlage für eine Verbotsverfügung aus. Dabei führte das Gericht weiter aus, dass der Maßstab zur Beurteilung der Rechtsmäßigkeit von Maßnahmen, die den Inhalt von Meinungsäußerungen beschränkten, sich aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit ergeben und nicht aus dem der Versammlungsfreiheit. Dies bezüglich verwies es auf frühere Rechtssprechungen. Das Gericht wies auch auf die Möglichkeiten zur Einschränkung der Meinungsäußerung hin, die rechtlich abschließend geregelt seien. Weiter führte es aus, dass hinsichtlich des Schutzes der öffentlichen Ordnung § 15 Versammlungsgesetz einengend auszulegen sei, da eben zur Abwehr von kommunikativen Angriffen auf Schutzgüter der Verfassung besondere Strafrechtsnormen geschaffen worden sind. Der Begriff der öffentlichen Ordnung reiche bei verfassungskonformer Gesetzesanwendung eben nicht aus, Verbote von Versammlungen zu rechtfertigen. Sie seien nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter vorgesehen. Gerade dies sei eben in diesem Falle nicht erkennbar.
Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang sicher auch, dass es in einem zeitlichen Zusammenhang divergierende Rechtsprechungen von Instanzengerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit gab. Besonders tat sich hier das OVG Münster hervor, das eine heftige Kontroverse mit dem Bundesverfassungsgericht austrug . In der Literatur wurde dieser Streit auch als „Kammermusik“ bezeichnet. Letztlich setzte sich die 1. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts in diesem Meinungsstreit hinsichtlich der Wertentscheidung des Grundgesetzes gegenüber politisch ungeliebten Meinungen durch.
Dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2001 stellte nun auch für Wunsiedel die Zeiger in der verwaltungsgerichtlichen Spruchpraxis im Hinblick auf den Eilrechtschutz gegen die Verbotsverfügung des Landratsamtes neu. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hatte nämlich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bei seiner Entscheidung im Eilrechtschutzverfahren des Jahres 2001 Bezug genommen. Dabei stellte er fest: „Was das Thema der Veranstaltung und den Veranstaltungsleiter anbelangt, so geht es zwar eindeutig um Themen mit rechtsextremem Hintergrund, allerdings fehlt es im Zusammenhang mit der geplanten Veranstaltung an hinreichend konkreten Tatsachen für eine Gefahrenprognose mit dem Ergebnis, dass es zu Straftaten speziell im Bereich politischer Auseinandersetzungen kommen wird. Im Übrigen kann diesen Gefahren bereits im Vorfeld mit Auflagen hinsichtlich Thematik und Personenausschluss der Redner begegnet werden.“ In seinem Beschluss stellte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verbotsverfügung des Landratsamtes Wunsiedel wieder her. Der Aufmarsch konnte damit erstmals wieder statt finden.
Die „Rechten“ hatten offenbar inzwischen gelernt, sich so weit rechtskonform zu verhalten, damit sie keine Gründe für ein Verbot in die Hände der Behörden spielten. Dazu mussten sie ja lediglich die aktuelle Rechtsprechung analysieren, was sie erkennbar getan haben.
Diese Entscheidung motivierte den Veranstaltungsleiter des Heß-Gedenkmarsches aus dem Jahre 2001, den Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger, sofort beim Landratsamt Wunsiedel themenidentische Folgekundgebungen bis zum Jahre 2010 anzumelden. Im Jahr 2002 hatte das Landratsamt Wunsiedel wieder in Fortführung des traditionellen Versammlungsverbots eine Verbotsverfügung an den Versammlungsanmelder erlassen. Das Verwaltungsgericht Bayreuth hatte das Verbot bestätigt. Wie im Jahr 2001 hatte der Bayerische Verwaltungsgerichthof den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Verbotsbescheid wieder hergestellt.
Nach zwei Jahren des Aufmarsches in Wunsiedel schien sich nun für den Antragsteller und Anmelder der Versammlungen eine gewisse Verfestigung der Rechtsprechung einzustellen. Dies hatte sofort Auswirkungen auf die Zahl der Teilnehmer. Lagen sie im Jahre 2001, also bei erstmaligem Zulassen des Aufmarsches, noch bei etwa 800, verdreifachte sie sich im Folgejahr bereits auf 2.500. In gleicher Weise wie die Gesamtteilnehmerzahlen stieg auch die Teilnahme von Personen aus benachbarten und weiter entfernt liegenden europäischen Ländern. So waren bereits 2002 Nationalfahnen aus Italien, Tschechien, Großbritannien, Schottland, Schweden, Norwegen, Dänemark, Flandern sowie aus der Schweiz und der Slowakei zu erkennen.
Im Jahre 2003 stellte sich eine leichte Veränderung der Beschlusslage im Verwaltungsgerichtswege ein. Das Verbot des Landratsamtes wurde dieses Mal sowohl vom Verwaltungsgericht Bayreuth wie auch vom Bayerischen Verwaltungsgerichthof bestätigt. Rechtsanwalt Jürgen Rieger musste also Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen.
Das Bundesverfassungsgericht allerdings stellte mit Beschluss die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragsstellers gegen den Verbotsbescheid des Landratsamtes Wunsiedel wieder her. Es hatte sich wie im Jahre 2001 erneut auf das besondere Gewicht von Meinungsfreiheit und Versammlungsrecht gestützt und bekräftigt, dass die Ermächtigung zur grundrechtlichen Freiheit nicht an die Gesinnung anknüpfe, sondern dass es an den Gefahren für Rechtsgüter liegen müsse, die aus konkreten Handlungen folgten. Nachdem die Entscheidung erst kurz vor der geplanten Veranstaltung erging, lag die Teilnehmerzahl im Jahr 2003 nur unwesentlich über der im Jahr 2002. Dies sollte sich allerdings im darauffolgenden Jahr dramatisch ändern. Die normative Signalwirkung des letzten Urteils des Bundesverfassungsgerichts führte im Jahr 2004 dazu, dass im Wege des Eilrechtsschutzes sehr frühzeitig klar war, dass die Demonstration statt finden konnte. Die Zahl der Versammlungsteilnehmer aus insgesamt 13 europäischen Ländern schnellte darauf hin auf knapp 5.000. Wunsiedel sah sich nicht nur wegen der großen Zahl an Rechtsextremen, sondern auch wegen eines Großaufgebots an Polizeikräften einem „Belagerungszustand“ ausgesetzt.
4. Die Polizei im Spannungsfeld der Ereignisse
Natürlich ist es Aufgabe der Bürgerinnen und Bürger einer Stadt, die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu führen. Es darf aber von den Staatsorganen, insbesondere natürlich von der Polizei nicht erwartet werden, dass sie sich im Hinblick auf die Aktionen des bürgerlichen Lagers vielleicht sogar zurückhaltend zeigt. Selbst wenn die gesellschaftlichen Erwartungen an das polizeiliche Einsatzverhalten interessengeleitet und erfolgsorientiert und damit in gewissem Maße unversöhnlicher Natur sind, muss die Polizei sich stets ihrer Rolle im Demonstrationsgeschehen bewusst bleiben. Staatsorgane müssen dort neutral sein.
Ganz allgemein gilt daher, dass Versammlungen stets frei und auch unabhängig von einer staatlichen Genehmigung durchgeführt werden können. Daher kommen Verbote lediglich ausnahmsweise in Betracht, nämlich dann, wenn sie zu einer Abwehr erheblicher Gefahren zwingend (ohne entsprechende Alternativen) erforderlich sind. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass gerade die Versammlungsfreiheit nicht nur ein Abwehrrecht der einzelnen Bürgerinnen und Bürger gegen Eingriffe des Staates ist, sondern auch einen Schutzauftrag an den Staat enthält. Der Staat muss aufgrund seiner Neutralitätspflicht und wegen dieses Schutzauftrages eben auch rechtsextremistische Versammlungen, soweit deren Teilnehmer nicht der Grundrechtsausübung entzogen wurde, schützen.
So stehen als Mittel der Gegenwehr auf Bürgerseite auf alle Fälle neben den üblichen Demonstrationen auch kreative Aktionen der Gegenwehr bis hin zu Hohn und Spott gegenüber den rechten Versammlungsteilnehmern zur Verfügung. Allerdings muss dies alles im Rahmen der Spielregeln, die der Rechtsstaat ganz einfach aufstellt, ablaufen.
Polizeidirektor Peter Pezolt ist seit 2004 Leiter der Polizeidirektion Hof und unter anderem zuständig für den Landkreis Wunsiedel. Er war mehrere Jahre Leiter der Dienststelle zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in Oberfranken und anschließend Dozent an der Polizei-Führungsakademie Münster, heute Deutsche Hochschule der Polizei, im Fachgebiet Kriminalistik.
Erschienen in: FREIHEIT UND RECHT 2008 / 1+2