Roland Jahn – der neue Chef
Zum Amtsantritt des neuen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen
Auch mehr als 20 Jahre nach der Errichtung der Stasi-Unterlagenbehörde sind persönliche und behördliche Nachfragen nach Aktenauskünften, ist das Interesse von Medien und Öffentlichkeit sowie von Wissenschaft und Forschung ungeschmälert. Das riesige „Rohstofflager“ für die notwendige Aufarbeitung des kommunistischen Regimes in Deutschland (1945 – 1989) wird sicher noch zwei weitere Jahrzehnte gebraucht. Nach jeweils zwei Amtszeiten von Joachim Gauck und Marianne Birthler hat nun Roland Jahn das Amt des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR übernommen. Wer ist der neue „Herr der Akten“, der am 14. März 2011 sein Amt angetreten hat?
Von Barbara Szkibik
Schon wieder so ein West-Journalist, dachte ich, als Roland Jahn vom Sender Freies Berlin im Januar 1990 beim Bürgerkomitee in der besetzten Staatssicherheitszentrale in der Berliner Normannenstraße auftauchte. Doch er war mehr als das, wie ich dann von einigen Mitstreitern erfuhr, die mit dem Namen Roland Jahn etwas verbinden konnten.
Roland Jahn aus Jena, Jahrgang 1953, studierte seit einem Jahr Wirtschaftswissenschaften an seiner heimischen Friedrich-Schiller-Universität, als 1976 der kritische Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann von den DDR-„Organen“ ausgebürgert wurde – eines der größten Eigentore der Machthaber, wie im Nachhinein festzustellen war. Denn diese Maßnahme löste eine Protestwelle sondergleichen in Ost und West aus. Nicht nur bekannte Künstler und Intellektuelle solidarisierten sich mit Biermann, auch für die kritische Jugendoppositon der DDR, zu der Jahn bereits seit seiner Schulzeit gehörte, wurde die Biermann-Ausbürgerung zu einem Kristallisationspunkt vielfältiger Protestaktionen. Solche kosteten dann auch ihn seinen Studienplatz, er wurde aus politischen Gründen exmatrikuliert und landete „zur Bewährung in der Produktion“ als Transportarbeiter bei Carl Zeiss Jena, freilich ohne seine politische Gesinnung aufzugeben. Er machte weiter, unter anderem mit „staatsfeindlichen“ Traueranzeigen für seinen unter bis heute ungeklärten Umständen 1981 in der Stasi-Haft ums Leben gekommenen Freund Matthias Domaschk. Auf eine Sympathiebekundung mit der polnischen Solidarnosc folgte 1982 eine mehrmonatige Haftstrafe, die aufgrund von Protesten aus der Bundesrepublik verkürzt wurde. Während der Haft hatte man ihn mit der Lüge, seine Lebensgefährtin und sein Kind befänden sich bereits im Westen, zur Unterschrift unter einen Ausreiseantrag genötigt, den er jedoch nach seiner vorzeitigen Haftentlassung zum Entsetzen der Staatsmacht umgehend zurückzog.
Unbeeindruckt von der Haft setzte er seinen Widerstand fort, insbesondere mit anderen Oppositionellen im Rahmen der Friedensgemeinschaft Jena, einer Gruppierung, die das schützende Dach der Kirche verlassen hatte und Auftritte in der Öffentlichkeit organisierte und die sich nicht im Sinne der scheinheiligen DDR-Propaganda für einseitige Abrüstung der NATO aussprach, sondern sich auch gegen die allgemeine Militarisierung in der DDR und gegen die sowjetischen Atomraketen richtete.
Das war für die Staatsmacht endgültig zu viel. Sie holte aus zur „Operation Gegenschlag“, mehr als 40 Oppositionelle wurden im Mai 1983 in den Westen abgeschoben. Auf persönliche Anweisung von Stasi-Chef Erich Mielke wird Jahn, der sich nicht mit der Ausweisung aus seinem eigenen Land abfinden will, mit brutaler Gewalt festgenommen und regelrecht „entsorgt“. Ein bundesdeutscher Grenzer entdeckt einen jungen Mann in zerrissener Kleidung, eingesperrt in ein Abteil im letzten Wagen eines Interzonenzuges, der eben die Grenze von Ost nach West passiert hatte. Es ist der spektakulärste Fall von Ausbürgerung in den 80er Jahren.
Unfreiwillig in der Bundesrepublik angekommen, stellte Jahn innerhalb kurzer Zeit von Westberlin aus seinen eigenen „Nachrichtendienst“ auf die Beine. Er und andere abgeschobene Oppositionelle, unter ihnen der Schriftsteller Jürgen Fuchs, organisierten den Schmuggel von Geld, Druckmaschinen, Papier, Videokameras, Computern, Flugblättern, verbotenen Büchern und Zeitschriften in die DDR hinein und von brisantem Informationsmaterial wieder heraus. Ihre „Kuriere“ waren Abgeordnete und Diplomaten. Unter anderem entstanden so die spektakulären Aufnahmen von den Leipziger „Montagsdemos“1989, die auf allen westdeutschen TV-Kanälen in die DDR zurück gesendet wurden und dazu beitrugen, die Revolution unumkehrbar zu machen.
Der Bürgerrechtler war zum Journalisten geworden. Er produzierte unter Pseudonym für das Magazin „Kontraste“ des Senders Freies Berlin zahlreiche Fernsehbeiträge über Opposition, Menschenrechtsverletzungen, Umweltverschmutzung und den grauen, tristen Alltag in der DDR. Auch die Ost-Berlin-Seite der TAZ wurde von ihm beliefert. Ab 1987 strahlte ein alternativer Westberliner Radiosender unter der Mitwirkung von Jahn regelmäßig die Sendung „Radio Glasnost“ aus, in der auf Tonbandkassetten von Ost nach West geschmuggelte Statements von Regimegegnern und Berichte zu oppositionellen Veranstaltungen veröffentlicht sowie Titel von unerwünschten Musikgruppen gespielt wurden und die hauptsächlich dadurch einem größeren Publikum in der DDR bekannt wurde, dass in der SED-Zeitung „Neues Deutschland“ ein diffamierender Bericht darüber erschienen war. Keine Frage, dass die Staatssicherheit Roland Jahn auch in Westberlin weiterhin beobachtete – säuberlich dokumentiert im Operativvorgang „Weinberg“.
Während der DDR-Revolution berichtete Jahn über Demonstrationen, Stasi-Fälle und den Machterhaltungskampf der SED; bis heute widmet er sich dem Thema Aufarbeitung der SED-Diktatur. Seit 1991 arbeitet der Journalist fest beim Berliner TV-Politikmagazin Kontraste.
Seit 1996 sitzt der Bürgerrechtler im Beirat der Robert-Havemann-Gesellschaft, seit 1999 ist er im Fachbeirat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur tätig. 1998 wird Roland Jahn das Bundesverdienstkreuz, 2005 der Bürgerpreis zur deutschen Einheit verliehen. 2010 erhält er die Dankbarkeitsmedaille der Solidarnosc, wegen der er 1983 ins Gefängnis gehen musste.
Nun ist also Roland Jahn zum Nachlassverwalter ausgerechnet des „Organs“ geworden, das ihm einst so übel mitgespielt hat. An das Amt des Bundesbeauftragten werden hohe Anforderungen gestellt, manche Kritiker haben ihm fehlende Verwaltungserfahrung vorgehalten. Er konterte mit dem Argument, dass die Bundeskanzlerin diese als Physikerin auch nicht hätte. Aber das ist nicht die Kernfrage, zum Verwalten gibt es gut ausgebildetes, erfahrenes Personal. Das Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Akten ist ein über alle Maßen politisches Amt, und zwar nicht im parteipolitischen, sondern im Sinne der stetigen Beschäftigung mit dem Thema Demokratie und ihrer Verteidigung. Aufgabe des Bundesbeauftragten ist es, dem Amt neue Impulse zu geben und auf seine jeweils ganz persönliche Art und Weise stetig in der Öffentlichkeit mit dem Thema Diktaturaufarbeitung präsent zu sein. Und darin hat Roland Jahn ganz gewiss Erfahrung.
Erschienen in: FREIHEIT UND RECHT 2011/1+2