60 Jahre Grundgesetz

von Max Stadler MdB

2009 ist ein besonderes Jahr. Wir feiern nicht nur das zwanzigste Jubiläum des Mauerfalles, sondern auch das sechzigste Jubiläum des Grundgesetzes. Wie der 9. November 1989, so markiert auch der 23. Mai 1949, an dem das Grundgesetz in Kraft trat, einen Meilenstein der Freiheit und Demokratie in unserem Land.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das ursprünglich nur als Provisorium für ein geteiltes Land gedacht war, wurde zu einem stabilen und dauerhaften Fundament des demokratischen Rechtsstaats. 60 Jahre nach seinem Inkrafttreten gilt es heute als Verfassung des wiedervereinigten Deutschlands.

Im Rahmen unserer verfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes kommt den Grundrechten in den Artikeln 1 bis 19 eine überragende Bedeutung beim Schutz der bürgerlichen Freiheiten zu.

In unserer Verfassung ist bereits das Spannungsverhältnis zwischen dem Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat einerseits und als Anspruchsrechte des Bürgers auf Grundrechtsschutz durch den Staat andererseits angelegt. Je intensiver der Staat seiner Schutzpflicht gegenüber dem Bürger vor Grundrechtseingriffen anderer Bürger nachkommt, desto stärker greift er in die Grundrechte der Bürger ein.

Das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit birgt einen grundsätzlich angelegten Konflikt in sich. Diesen Konflikt gilt es Ernst zu nehmen und einen Weg zu finden, der die notwendigen Schritte für eine angemessene (Sicherheits-)Politik garantiert und die Rechte der Bürger vor unverhältnismäßigen staatlichen Eingriffen ausdrücklich schützt.

Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren durch sicherheitspolitische Vorstöße ein bedenkliches Verfassungsverständnis offenbart. Wiederholt wurden die grundgesetzlichen Schranken durch staatliche Eingriffsrechte übertreten und damit immer mehr Freiheitsbeschränkungen durchgesetzt.

In einer Vielzahl von Bestimmungen wurden diese Grenzen für die Einschränkung von Bürgerrechten zulasten der Freiheit und zugunsten der Sicherheit verschoben. Das Vorgehen der Bundesregierung richtete sich dabei auf nahezu sämtliche Bereiche der in den Grundrechten verankerten bürgerlichen Freiheiten wie z. B. die Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit.

Bei vielen gesetzgeberischen Maßnahmen wurde mit dem Hinweis auf die Bedrohung der Sicherheit durch Terrorismus und Kriminalität die Balance zwischen Innere Sicherheit und Freiheit nicht mehr ausreichend gewahrt. Beispielhaft seien hier die Vorratsdatenspeicherung und insbesondere das Luftsicherheitsgesetz erwähnt.

So sind dem Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassung wiederholt die Fragen nach der Rechtmäßigkeit von Eingriffen in Grundrechte vorgelegt worden. Häufig musste das höchste deutsche Gericht korrigierend eingreifen, um den Ausgleich zwischen den beiden politischen Zielgrößen der Freiheit und Sicherheit wieder herzustellen. Mitunter wird ihm deshalb vorgeworfen, es greife zu sehr in die Gesetzgebung ein. Diese Kritik ist völlig verfehlt. Das Bundesverfassungsgericht ist geradezu verpflichtet, einzugreifen, wenn der Gesetzgeber die Grenzen der Verfassung nicht einhält.

Insbesondere in den letzten Jahren hat das Bundesverfassungsgericht aufgrund der erheblichen Bedeutung neuer Medien den Gesetzgeber dazu aufgefordert, bei der rasanten technischen Entwicklung der Nutzung der neuen Techniken den Grundrechtsschutz nicht außer Acht zu lassen. Mahnend hat das Gericht – hergeleitet aus Artikel 2 in Verbindung mit Artikel 1 des Grundgesetzes, also dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Menschenwürde – drei neue Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entwickelt: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die Unantastbarkeit des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung und die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Die Erkenntnis, dass es keine belanglosen Daten gibt, wenn Daten gesammelt werden, etablierte den Datenschutz als Persönlichkeitsschutz im Grundgesetz.

Es ist bedauerlich, dass es immer wieder erst des Bundesverfassungsgerichtes bedarf, um die Volksvertreter an die im Grundgesetz verankerten Grundrechte zu erinnern. Eine grundrechtsorientierte Politik achtet von sich aus die Wertordnung des Grundgesetzes und schafft Sicherheit, ohne die Freiheit der Bürger zu beschränken. Sie legt bei ihren Entscheidungen die Kriterien der Notwendigkeit und Geeignetheit der Maßnahmen und das Verhältnismäßigkeitsprinzip zugrunde. Dies sollte zum 60. Jahrestag des Grundgesetzes wieder stärker zum Maßstab des politischen Handelns werden.

Der Autor:Dr. Max Stadler sitzt seit 1994 für die FDP im Deutschen Bundestag. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Innenausschusses und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums.

Erschienen in: FREIHEIT UND RECHT 2009 / 2

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