Todfeinde – Komplizen - Kriegsbrandstifter

Eine Veranstaltung zum Hitler-Stalin- Pakt am 23. August 2012 in Leipzig

von Gerald Wiemers

In der einstigen DDR schien der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 unbestritten. Die Sowjetunion musste handeln, um einen Angriff des faschistischen Aggressors soweit wie möglich hinauszuzögern. Es wurde aber bekannt, dass deutsche Kommunisten in Moskau nach diesem Pakt verfolgt, umgesiedelt und teilweise an das nationalsozialistische Deutschland ausgeliefert wurden. Letzte Klarheit schuf das geheime Zusatzprotokoll zur Aufteilung Polens unter den Vertragspartnern, abgedruckt in der Monographie von Reinhard Kühnl, „Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten“. Das Buch erschien im Pahl-Rugenstein-Verlag in Köln und war in der DDR seit Mitte der 80er Jahre als Taschenbuch zugänglich, wurde aber nur von Insidern beachtet. Als die sowjetische Zeitschrift „Sputnik“ im Oktober 1988 über den „Nichtangriffspakt“ berichtet, ließ Honecker die Verbreitung der Zeitschrift verbieten: Einmal mehr positionierte sich der „Staatsratsvorsitzende“ als unbelehrbarer Spätstalinist.

In zwei Publikationen (1) entlarvt Richard Buchner, Schüler von Richard Löwenthal am Otto-Suhr-Institut, Forschungsstudent der Lomonossow-Universität 1967/68 in Moskau, den Charakter dieses „Vertrages“ und beschreibt zugleich die Eskalation von Terror und Gewalt im Sowjetsystem des 20. Jahrhunderts. Bereits im April 2009 hatte das EU-Parlament den 23. August zum „Europäischen Gedenktag an die Opfer von Stalinismus und Nazismus“ erklärt. Der Leipziger Universitätsverlag und das Bürgerkomitee Leipzig riefen zu einer Buchvorstellung an diesem denkwürdigen Tag in das Museum in der „Runden Ecke“ auf. Unter der umsichtigen, ausgleichenden Moderation von Verlagsleiter Dr. Gerald Diesener diskutierten der Autor Dr. Richard Buchner und Dr. Klaus-Dieter Müller von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, seit 2009 Inhaber des „Ordens der Freundschaft“, der höchsten russischen Auszeichnung für Ausländer.

Die Diskussion war geprägt von außerordentlich hoher Sachkenntnis. Kontrovers interpretierte Fragen blieben die Ausnahme. Das kleine, aber sehr interessierte Auditorium folgte zunächst der Rede Molotows vor Deputierten vom Oktober 1939. Gerald Diesener trug auszugweise daraus vor. Das nazistische Deutschland mutiert vom Todfeind zum Komplizen der Sowjetunion. Die Rede ist von Polen, der „Missgeburt des Versailler Vertrages“. Stalin feiert den Pakt als einen Sieg zur Zerschlagung des „faschistischen“ Nachbarstaates. Buchner nennt den „Nichtangriffsvertrag“ vom 23. August 1939 unumwunden einen Aggressionspakt, der sich gegen die Existenz des polnischen Staates richtete, Deutschland den Krieg gegen Frankreich eröffnete und Stalin ermöglichte, die baltischen Staaten und Moldawien (Bessarabien) zu „vereinnahmen“. Zwei verbrecherische Regimes teilten ihre Einflusssphären unter sich auf. Suchte Stalin mit Hilfe des Krieges die Weltrevolution weiter auszudehnen? Wie hätte sich die Sowjetunion anders verhalten sollen oder müssen? Tatsächlich folgte im Februar 1940 noch ein weiterer Pakt. Das Rüstungsabkommen zwischen Deutschland und der UdSSR vertiefte die Komplizenschaft. Bis zum 20. Juni 1941, so Klaus-Dieter Müller, rollten Waffen in den Osten. Umgekehrt belieferte die Sowjetunion Nazi-Deutschland mit kriegswichtigen Rohstoffen.

Letztlich führte der Hitler-Stalin-Pakt, davon ist Müller überzeugt, in einen Krieg, der sich zum Weltkrieg ausweitete. Der Feind meines Feindes, gemeint sind die Westmächte, ist nach Stalin mein Freund. Der Pakt, so Buchner, „ist der letzte Schritt in den Abgrund!“ Auch vor dem Hintergrund der jahrzehntelang geleugneten sowjetischen Massaker in Katyn und Winniza ist heute - das als Fazit - eine europäische Friedenspolitik, die auf Versöhnung ausgelegt ist, notwendiger denn je.

(1) Richard Buchner, Todfeinde – Komplizen – Kriegsbrandstifter, Der Hitler-Stalin-Pakt und die Folgen, Leipzig 2010

Richard Buchner, Terror und Ideologie, Zur Eskalation der Gewalt im Leninismus und Stalinismus (1905 bis 1937/1941), Leipzig 2011

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