Eine Rose ist eine Rose

von Waldemar Ritter

„Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“, schrieb 1935 Gertrude Stein und meinte damit, dass die Dinge sind, was sie sind. Gleichgültig, ob die Rose weiß, gelb oder rot, groß oder klein ist, ob sie Dornen hat oder nicht, ob sie duftet oder stinkt oder überhaupt nicht riecht. Sie ist eine Rose.

Eine Diktatur ist eine Diktatur ist eine Diktatur. Gleichgültig ob sie sich braun, rot, schwarz oder grün lackiert. In Deutschland gab es hintereinander eine braune und eine rote Diktatur. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR über 56 Jahre lang.

Die Universität Leipzig hat auf einer internationalen Fachkonferenz zum Diktaturvergleich bereits 2004 festgestellt: „Ein summarisches Fazit des Vergleichs von faschistischen und sowjetkommunmistischen bzw. 'realsozialistischen', 'braun oder rot' gefärbten Diktaturen besteht darin, dass die totalitäre Durchdringung der Gesellschaft offensichtlich von unterschiedlicher Intensität war und ist.“ Das ist es aber nicht allein. Die Auslösung des Zweiten Weltkrieges durch den Nationalsozialismus des Dritten Reiches, der 55 bis 60 Millionen Menschenleben zum Opfer fielen, und die damit untrennbar verbundene massenhafte Ermordung von sechs Millionen Juden in Europa, von Millionen Mittel/Osteuropäern, vor allem Polen und Ukrainern, ist singulär, und selbst mit Italien, dem Ursprungsland des Faschismus, nicht vergleichbar.

Die schweren Verbrechen nach 1945 haben eine andere Dimension. Das kann und darf aber nicht dazu führen, die totalitäre Diktatur der SED-DDR zu relativieren oder zu verharmlosen. Umso notwendiger ist es, die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten der Diktaturen und totalitären Regime wissenschaftlich herauszuarbeiten, um die verschiedenen Bedrohungen und Gefährdungen der Freiheit, der Demokratie, der Grund- und Menschenrechte rechtzeitig und besser zu erkennen. Das gilt für uns Deutsche in ganz besonderem Maße, auch und gerade durch den Diktaturvergleich zwischen dem Nationalsozialismus des Dritten Reiches und dem „real existierenden Sozialismus“ der SED-DDR.

Das Vergleichen nicht Gleichsetzen heißt, hat sich allmählich bis in die Klippschulen herum gesprochen. Dass dies ein Staatssekretär in Sachsen-Anhalt noch nicht wusste, und offenbar den Artikel 5 des Grundgesetzes nicht immer „unterm Arm“ trägt, zeigt, zu welchem Erkenntnisgewinn auch ein Amtsträger in Deutschland durch Diktaturvergleich als Mittel der Extremismusforschung gelangen kann. Er sollte wissen, dass die SED den Vergleich fürchtete, wie der Teufel das Weihwasser. Noch vier Jahre vor der Revolution in der DDR bezeichnete sie über ein „Autorenkollektiv“ „die Totalitarismus-Doktrin als ideologisches Vehikel imperialistischer Konfrontationsstrategie.“ Das scheint, wie vieles andere in der Linkspartei, noch nachzuwirken, wenn es um den Vergleich von NS- und SED-Diktatur geht.

Deutschland ist das einzige Land Westeuropas, dass die Erfahrung beider Totalitarismen hatte. Aus dieser historischen Erfahrung erwächst die besondere Aufgabe Deutschlands; kein anderes Land kann diese Erfahrung besser verständlich machen. Dazu gehört der Vergleich von Nationalsozialismus und Kommunismus im Sinne ihrer inhumanen Zielsetzung und der Anwendung der Mittel, im totalen Herrschaftsanspruch und Führungsprinzip sowie ihrer Ausschließlichkeitsideologien. Dazu gehört auch, was wir niemandem gestatten sollten: den Unrechtsstaat DDR hinter dem Schreckensregime der Nationalsozialisten zu verstecken.

Wolf Biermann hat zu recht gesagt, dass das Kriminalgewicht des nationalsozialistischen Holocaustregimes ungleich schwerer war, als das der Hammer-und-Zirkel-DDR. Aber, so fragt er weiter, ob ein so totalitäres scheußliches System wie das des „real existierenden Sozialismus“ etwa weniger scheußlich dadurch wird, wenn es ein noch scheußlicheres, ein noch perfideres, ein noch schrecklicheres gab? Wer vom Totalitarismus schweigt, sollte auch nicht über die Freiheit reden. Man kann auch nicht zur Tagesordnung übergehen und die totalitären Wurzeln der Linksaußenpartei übersehen. Und wir müssen neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn schon deshalb von den beiden deutschen Diktaturen sprechen, damit wir nicht noch einmal das Falsche aus unserer Geschichte lernen. Denn wer keine Verantwortung für die eigene Geschichte übernimmt, sollte auch keine Verantwortung für die Zukunft übernehmen.

Das gilt nicht nur für die höchste Ebene der Diktaturen oder nur für die Herrschaftsform oder bestimmte Strukturmechanismen, es gilt gleichermaßen im Blick auf die Mikroebene, auf die lokale oder die regionale Ebene, auf den Vergleich mit anderen Diktaturen und in so genannten sektoralen Fragen. Dafür zwei Beispiele:

Das erste, das selbst in der aktuellen Diskussion um Hartz 4 offenbar niemand weiß oder wissen will. Der Nationalsozialismus des Dritten Reiches hat "Asoziale“ und „Arbeitsscheue“ ohne Gesetz in Konzentrationslager gezwungen. Im „real existierenden Sozialismus“ der DDR haben die Vorgänger der „Linkspartei“ dieses Verhalten als Gesetz gefasst, in den § 249 des Strafgesetzbuches der DDR. Danach wurde derjenige, „der das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Sicherheit gefährdet, indem er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit entzieht“, mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren belegt. Im Wiederholungsfall drohten bis zu fünf Jahren Haft. Vielleicht will der Fraktionsvorsitzende der Linksaußenspartei an diesem Beispiel zeigen, das die DDR kein Unrechtsstaat gewesen ist.

Exemplarisch auch ein quantitativer Vergleich der Stasi mit dem KGB und der Gestapo. Die Stasi der DDR hatte um ein vielfaches mehr Mitarbeiter als die Nazigestapo und der sowjetische KGB zusammen. Das besondere der Erben der DDR-Nomenklatura ist, dass sich seit Jahren demokratische Politiker und andere Leute mit den alten MfS- und SED-Kadern ins selbe Bett legen, Kader, die „das kaum getrocknete Blut ihrer Opfer noch am Ärmel haben.“ Was in Bautzen, in Sachsenhauen, in Buchenwald, in Hohenschönhausen und anderen Orten während der Nazizeit und danach in der SBZ/DDR geschah, muss unverstellt ans Tageslicht, weil wir das den Opfern und Widerstandskämpfern schuldig sind, weil wir feststellen und aussprechen müssen, was wirklich gewesen ist, weil wir auch im Nachhinein nicht wegschauen und verleugnen dürfen und weil so etwas „nie wieder“ geschehen darf.

In der Ethik gibt es den Grundsatz des Sein-Sollens-Fehlschlusses: Was ist, legt noch nicht fest, was sein soll. Das gilt für die zwei feindlichen Brüder und ihre Wurzeln, die beiden nicht verbotenen Parteien NPD und „Die Linke“, die auch wissenschaftlich verglichen werden sollten. Geist ist die Voraussetzung für alles, was wir können, auch für das bereits oder nur vermeintlich erklärte. Vor allem an unseren Schulen und Universitäten sollte eine Aufklärungsoffensive über die Nazi- und DDR-Vergangenheit beginnen. Hitlers Schreckensregime ist im kollektiven Bewußtsein der Deutschen gespeichert. Beim totalitären Unrechtsstaat DDR haben wir noch erheblichen Nachholbedarf.

Der Autor:Dr. Waldemar Ritter, Politologe, Historiker und Ministerialdirigent a. D. war von 1967 bist 1997 für Fragen der Deutschlandpolitik und die innerdeutschen Kulturangelegenheiten der Bundesregierung verantwortlich.

Erschienen in FuR 2010 / 2