Werner Ihmels (1926 –1949) zum 60. Todestag

von Gerald Wiemers

Als der sächsische Pfarrer i. R. Hans-Georg Günzel vor 12 Jahren das Bundesverdienstkreuz erhielt, sagte er: „Ich denke in dieser Stunde an meinen Haftkameraden Werner Ihmels. Er war ein Sohn des Leipziger Missionsdirektors und Enkel des ersten sächsischen Landesbischofs. Werner starb noch 1949, als das große Sterben in Bautzen eigentlich schon vorbei war.“ Günzel will seine Ehrung verstanden wissen als Ehrung für die vielen Opfer, die auch in der Sowjetzone nach dem Ende der Nazi-Diktatur „eine demokratische Ordnung aufbauen wollten, die verhaftet wurden und dann viele Jahre in den russischen Lagern oder später in den Gefängnissen der DDR zubringen mussten.“

1926 wurde Werner Ihmels als viertes von sechs Kindern in Leipzig geboren. Sein Leben endete viel zu früh. Sein Drang nach einer christlich geprägten, freiheitlichen Staatsordnung hat sich nicht erfüllt. Erst begehrte er in seinen Möglichkeiten gegen das nationalsozialistische System auf, empfand die Befreiung als einen wirklichen Neuanfang ohne Repressionen und hatte keinerlei Verständnis für Opportunisten: „Es zeigt sich jetzt erbärmliche Charakterschwäche bei vielen. Fast niemand will jetzt mehr in der Partei gewesen sein. Alle waren nur gezwungen ... keiner aus Überzeugung.“

Ihmels übernahm Verantwortung für mehrere kirchliche Jugendgruppen, wohl wissend , dass er mit den kommunistisch gelenkten Jugendausschüssen in Konfl ikt geraten würde. Der Leiter des sächsischen Landesjugendausschusses Hermann Axen, später im Politbüro der SED, erklärte Ende November 1945, „jede Betätigung“ kirchlicher Jugendgruppen außerhalb des Gottesdienstes, des Konfi rmations- bzw. Kommunionsunterrichts sowie des Religionsunterrichts für „illegal“.

In dieser Zeit wird Ihmels Mitglied der CDU. Neben der Kirche sollte das seine politische Heimat werden. Auf Wunsch der CDU hielt er im November 1946 den programmatischen Vortrag „Was hat die Kirche mit der Politik zu tun? „Die christliche Kirche, so sein Credo, sollte nicht schweigen zu den Verbrechen in der Welt, sondern sich durchaus in die Politik einbringen, als eine ,Hüterin der Wahrheit’“. Unter Anspielung auf die jüngste Vergangenheit mahnt Ihmels: „Wir haben Hass gepredigt, Völkerhass und Rassenhass, und werden heute selbst in aller Welt gehasst.“ Er sprach zur Jugend, vor einer FDJ-Gruppe, der er seit 1946 angehörte und für die er warb. Noch glaubte Ihmels, die FDJ sei eine freie, demokratische Organisation, in der auch aktive Christen ihren Platz fi nden können. So trat er im Juni 1947 bei der Landesleitung Sachsen der FDJ als Verbindungsmann des Landeskirchenamtes an. Inzwischen gelang es der SED in zunehmenden Maße mit Unterstützung der SMAD, die FDJ zu ihrer Massenorganisation umzubilden. Nach einer öffentlichen Auseinandersetzung mit Erich Honecker, dem damaligen 1. Sekretär der FDJ, zog Werner Ihmels die Konsequenzen: für Christen war in dieser Organisation kein Platz mehr. Zusammen mit Freunden suchte er wichtige Mitteilungen über die Entwicklung in der Sowjetzone im Westen publik zu machen. Zu seiner Gruppe gehörten der Oberschüler Horst Krüger, der Jurastudent Wolfgang Weinoldt und der hauptamtliche Jugend-Sekretär der LDP Manfred Gerlach. Für ihn selbst, der sein unterbrochenes Theologiestudium wieder aufgenommen hatte, bestand die ernsthafte Gefahr einer Verhaftung. So beschloss die Familie, Werner möge sein Studium in Tübingen fortsetzen. Dazu kam es nicht. Der NKWD schlug unmittelbar vor Antritt der Reise am Leipziger Hauptbahnhof zu und verhaftete ihn am 11. September 1947. Für seine Familie blieb er lange spurlos verschwunden. Nur wenige Tage später nahm der sowjetische Geheimdienst auch Horst Krüger und Wolfgang Weinoldt fest. In Dresden verurteilte am 2. Dezember 1947 ein sowjetisches Militärtribunal Ihmels und den erst 16-jährigen Krüger zu 25 Jahren sowie Weinoldt zu 15 Jahren Arbeitslager. Etwa zur gleichen Zeit wird Manfred Gerlach Bürgermeister in Leipzig.

Am 25. Juni 1949 – vor 60 Jahren – starb Werner Ihmels im „Gelben Elend“ in Bautzen nach einem missglückten medizinischen Eingriff, der Füllung eines Pneumothorax. 1995 wurde er durch den russischen Militärstaatsanwalt rehabilitiert.

Freunde und Kameraden haben das kurze, intensive Leben von Werner Ihmels zu unterschiedlichen Zeiten und in sehr verschiedenen Situationen begleitet und refl ektiert. Die Leipziger Thomasschüler und Klassenkameraden Dieter Ramin und Norbert Müller schildern den lebensfrohen, unbeschwerten jungen Mann. Über die letzten militärischen Einsätze bei Flak und Wehrmacht erzählen Horst Richter und der Deutsch-Däne Gert Heine. Ihmels war ein Kriegsgegner und dachte über die Zeit nach dem Kriege hinaus. Die Germanistikstudentin Maria Tannert, geb. Sommerlatt erlebte den christdemokratischen, rastlosen Studenten, der sich für eine freiheitliche Ordnung einsetzte. Dann kam der Bruch. Der Physiker Ernst Krebs (1914–2000) und der damals 19jährige Horst Lange, politische Gefangene, berichten, wie er „im Frühjahr 1948 verstört, mit kahlgeschorenem Kopf und ohne Brille, in die mit drei Mann bereits überfüllte Zelle im NKWD-Gefängnis am Münchner Platz in Dresden gestoßen wurde.“ Sie erlebten einen schweigsamen, in sich gekehrten Mann, der seine Umwelt nur unscharf wahrnahm und durch Beten Kraft schöpfte. Nach Ostern traf er seine Freunde in Bautzen wieder: Horst Krüger und Wolfgang Weinoldt. In stillen, heimlichen Andachten fanden sie Trost und Stärkung.

Mit Ihmels hat die damalige christliche Jugend einen ihrer begabtesten Funktionäre verloren. Die von seinem Bruder Folkert 1997 herausgegebenen Vorträge, Tagebuchnotizen und Briefe „Im Räderwerk zweier Diktaturen“ lassen ahnen, was auch die Nachgeborenen an ihm verloren haben.

Der Autor:Professor Dr. Gerald Wiemers ist Historiker und Archivwissenschaftler. Seine Spezialgebiete sind Jugendwiderstand unter der SED-Diktatur, studentischer Widerstand sowie Wirken und Verfolgung jüdischer Wissenschaftler an der Universität Leipzig.

Erschienen in: FREIHEIT UND RECHT 2009 / 2