Täter haben ein Gesicht

Die Notwendigkeit zur Benennung von Täternamen bei der Aufarbeitung des SED-Unrechts

von Dr. Hans-Jürgen Grasemann

I. Täter als Opfer ?"Das Recht am eigenen Bilde wie das Recht am eigenen Namen sind Ausdruck des Rechtsgedankens, dass der Mensch sich selber gehört. Das konstituiert seine Würde", schrieb Adolf Arndt 1967 zur Frage der Rechtmäßigkeit identifizierender Kriminalberichte.

Rechtsprechung und Deutscher Presserat sind sich seit Jahrzehnten einig: Da jede publizistische Personenkennzeichnung auch einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht auf Anonymität indiziert, kommt wegen der Personalisierung von Sachverhalten der verfassungsrechtlichen Güterabwägung zwischen Medien- und Informationsfreiheit sowie den Persönlichkeitsrechten große Bedeutung zu. Der zivilrechtliche Abwehranspruch gegen die unbefugte Verwendung personenbezogener Informationen trifft Medien wie Privatpersonen als Beklagte auf Unterlassung und Schmerzensgeld. Das ist geltendes Recht und von der Rechtsordnung zu Recht gewollt.

20 Jahre nach dem Ende des SED-Regimes häufen sich jedoch die Fälle, in denen ehemalige Hauptamtliche und Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit diese zivilrechtlichen Abwehrrechte gegen ihre Enttarnung und Identifizierung in Ausstellungen, Medienberichten und in Mitteilungen durch Stasi-Opfer in Anspruch nehmen. Dass gerade sie sich der Institutionen und Garantien des  Rechtsstaates bedienen, die sie den Unterworfenen und Ausgelieferten ihrer Herrschaftsgewalt vorenthalten haben, und eine Niederlage vor Gericht als Niederlage für den Rechtsstaat schlechthin beklagen, löst verständliche Entrüstung nicht nur bei den Opfern der zweiten deutschen Diktatur aus.Es ist gewiss ein Ärgernis, wenn sich die Täter von einst heute als Opfer darstellen, doch erweist sich die Stärke von Demokratie und Rechtsstaat in der Verfassungswirklichkeit und in der Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes gerade auch gegenüber jenen, die den Unrechtsstaat DDR aufrechterhalten und daraus ihre persönlichen Vorteile gezogen haben. Immerhin haben sogar MfS-Generäle wie Neiber, Engelhardt, Großmann und Schwanitz im Sommer 1990 Vertrauen in das Verfassungsorgan Bundesverfassungsgericht des von ihnen bekämpften Staates bekundet, das sie sofort nach der Wiedervereinigung gegen das "Renten-Strafrecht für Stasi-Mitarbeiter" anrufen wollten. Für die von Verantwortlichen des DDR-Unrechts verklagten Privatpersonen, bei denen es sich zumeist um Stasi-Opfer handelt, können die Prozesskosten sich unter Umständen existenzbedrohend auswirken. Da eine klare Linie in der Rechtsprechung leider noch nicht zu erkennen ist, kann ihnen niemand mit Sicherheit die Klagabweisung und damit ihr Obsiegen voraussagen. Wenn sie von der Anrufung des übergeordneten Gerichts absehen müssen und sich wegen der unkalkulierbaren Verfahrenskosten als rechtlos gestellt sehen, steht für viele die Rechtsordnung insgesamt auf dem Prüfstand.

II. Der " Fall Fritz Schaarschmidt"Bestärkt fühlen sich die Justizkritiker durch Entscheidungen wie die des OLG München vom 28. Januar 2009. Auf die Berufung des Klägers wurde das klagabweisende Urteil des LG Augsburg vom 28. Juli 2008 abgeändert und dem beklagten Fritz Schaarschmidt untersagt, auf seiner Internetseite www.ddr-ausreise.de oder anderenorts die Behauptung aufzustellen oder zu verbreiten, dass der Kläger gemeinsam mit den übrigen ebenfalls namentlich genannten Personen den Bildungsweg seiner Tochter auf Grund des Antrags auf Ausreise aus der DDR beendet hätte.Die teilweise unangemessene Gerichtsschelte übersieht freilich, dass nach Auffassung des Berufungsgerichts Schaarschmidt die Richtigkeit seiner Behauptung nicht zu beweisen vermocht hat. Ob und inwieweit der Kläger, ein ehemaliger Stadtschulinspektor, auf die Entscheidung des Stadtschulrats, die Eingabe gegen die Versagung der Weiterbildung der Tochter abzulehnen, Einfluss genommen hat, habe er - so das OLG - nicht dargetan. Andererseits findet der 27. Zivilsenat deutliche Worte:"Aus ideologischen Gründen einer unstreitig begabten und für die Weiterbildung geeigneten jungen Frau die weiterführende Schule und damit das Abitur zu versagen, nur weil sie mit ihren Eltern einen Ausreiseantrag gestellt hat, ist aus objektiver Sicht menschenverachtend und zutiefst zu missbilligen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass dies durch die ‚Anordnung über die Aufnahme in die erweiterte allgemeinbildende Oberschule‘ ... gedeckt gewesen sein mag..."Für den beklagten Fritz Schaarschmidt, der nach dem Ausreiseantrag seinen Handwerksbetrieb aufgeben musste und seine Frau durch Suizid verloren hat, weil sie dem Druck der DDR-Organe nicht mehr stand halten konnte, ist das aufgehobene erstinstanzliche Urteil ein wertloser Erfolg, auch wenn es in den Gründen heißt:"Der zitierte Text ist ein Stück Zeitgeschichte, wie sie der Beklagte formuliert hat. Falsche oder ehrverletzende Behauptungen sind nicht enthalten und vom Kläger auch gar nicht vorgetragen..... Dem verständigen Leser wird (nicht) die Meinung suggeriert, dass der Kläger persönlich die Schullaufbahn der Tochter des Beklagten beendet habe; aus dem Text erschließt sich eindeutig, dass der Kläger als Mitglied des Schulsystems, das nach dieser zitierten Aufnahmeordnung zu handeln hatte, erwähnt wird... Diese Tatsache wird vom Kläger auch nicht bestritten und eine wahrheitsgemäße Schilderung eines Stückes Zeitgeschichte kann keine Persönlichkeitsverletzung darstellen..."

III. Der " Fall Roman Grafe"Der Publizist Roman Grafe hat in seinem 2004 im Siedler-Verlag erschienenen Buch "Deutsche Gerechtigkeit - Prozesse gegen DDR-Grenzschützen und ihre Befehlsgeber" auf S. 306 und im DEUTSCHLAND ARCHIV 6/2004 unter der Überschrift "Grafe: Die Prozesse wegen der Tötung Chris Gueffroys" auf S. 981 geschrieben:"Stabschef Reinhard Gentzsch gefiel es nach dem Mauerfall, seinen Wohnsitz in Richtung Westen zu verlegen - nach Oberhausen im Ruhrgebiet. Zum Prozess kommt der 45jährige Gentzsch kurz nach Berlin, nach vier Verhandlungstagen darf er mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren wieder nach Hause fahren... Sein Kollege Gerd Fritz Mögel, als Chef Ausbildung ebenfalls ein Stellvertreter des Regimentskommandeurs, arbeitet unbehelligt weiter beim Bundesgrenzschutz gemeinsam mit seinem alten Kameraden Sven Hüber (Politoffizier im Grenzregiment 33)..."Der Kläger Sven Hüber, seit 1983 bei den DDR-Grenztruppen tätig und seit 1987 Offizier, zuletzt im Range eines Oberleutnants, war im Grenzregiment 33 als stellvertretender Chef einer von zehn Kompanien eingesetzt. Als Stellvertreter für politische Arbeit war er für die politische Erziehung der Soldaten im Sinne der Führung der DDR zuständig. Von Herbst 1988 an war er Offizier im Stab des Grenzregiments 33 und dort sog. Jugendinstrukteur, der die Aufgabe hatte, die führende Rolle der SED mittels des Jugendverbandes FDJ durchzusetzen und die "jungen Armeeangehörigen und Grenzsoldaten zielgerichtet so zu erziehen, dass sie bereit und fähig sind, ihre militärischen Pflichten gemäß dem Fahneneid zu erfüllen".Vor dem LG Berlin hat Hüber gegen Grafe und die Verlagsgruppe Random House GmbH geltend gemacht, dass er durch die namentliche Nennung in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt werde und kein überwiegendes Berichterstattungsinteresse an seiner Namensnennung bestehe. Auf seine Klage wurde den Beklagten am 2. Februar 2006 untersagt, "den Namen des Klägers im Zusammenhang mit seiner Funktion beim Grenzregiment 33 und/oder im Zusammenhang mit den Todesschüssen auf Chris Gueffroy und /oder im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der Bundespolizei ... zu verbreiten." Hüber, der nach seiner Entlassung aus den Grenztruppen in den Bundesgrenzschutz (jetzt Bundespolizei) übernommen wurde, wo er als Erster Polizeihauptkommissar und Vorsitzender des Hauptpersonalrates der Bundespolizei ein gefragter Ansprechpartner ist, hat durch seine Klage bundesweite Bekanntheit erlangt - als ehemaliger Politoffizier der DDR-Grenztruppen. Das LG Berlin hat in der neuen Funktion Hübers eine "herausgehobene Stellung" gesehen, die "in besonderem Maße öffentliche Kritik hinnehmen" müsse. Bei der Debatte über die Todesschüsse an der ehemaligen innerdeutschen Grenze handele es ebenfalls sich um eine solche von besonderem öffentlichen Interesse. Das Auftreten Hübers als Zeuge in einem Strafverfahren gegen einen Angehörigen der DDR-Grenztruppen wegen Anstiftung zum Totschlag bezeichnete das LG als "diskussionswürdig", ebenso wie seine Diplomarbeit und seinen am 10. Mai 2004 in der Berliner Zeitung veröffentlichten Leserbrief, in dem er die Ablösung von Hubertus Knabe als Leiter des Museums "Stasi Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen" forderte, weil dieser die Ansicht vertreten hat, 1945 habe in Ost-Deutschland eine Diktatur die andere abgelöst.Anders als im Fall Schaarschmidt gab im Fall Grafe das Berufungsgericht dem Beklagten Recht. Das Kammergericht Berlin das Urteil des LG am 19. März 2007 auf und wies die Klage Hübers ab. In den Urteilsgründen heißt es:"Die Namensnennung des Klägers ist schon deswegen zulässig, weil dieser sowohl in seiner früheren Funktion beim Grenzregiment der DDR als auch mit seiner heutigen Tätigkeit bei der Bundespolizei an die Öffentlichkeit getreten ist. Er hat Vorträge über den ‚Dienst an der Berliner Grenze‘ , den ‚praktischen Alltag des Grenzregimes an der Berliner Mauer‘, die ‚Maueröffnung und Auflösung der Grenztruppen‘ sowie über ‚Prozess und Erlebnis der Übernahme von Angehörigen der Grenztruppen der DDR in den Bundesgrenzschutz der Bundesrepublik Deutschland‘ gehalten. Dabei ist er...mit seiner früheren und jetzigen Funktion vorgestellt worden... Offenbar hatte der Kläger bis zur Veröffentlichung der Beklagten keine Probleme damit, seine frühere Tätigkeit als Offizier beim Grenzregiment der DDR öffentlich zu machen..."Grafes schlichte Mitteilung, dass der Kläger ebenso wie Gerd Fitz Mögel und Norbert Schulze beim Bundesgrenzschutz arbeitet und der Hinweis an den Leser in einem Klammerzusatz dass der Kläger Politoffizier im Grenzregiment 33 war, stelle eine wahre Tatsachenbehauptung dar.Abschließend führt das KG aus:"Unabhängig davon, ob der Kläger den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze billigte oder diesem kritisch gegenüber stand, wie er behauptet, hat er doch als Angehöriger des Führungsstabs eines Grenzregiments das System der ‚Grenzsicherung‘ gestützt und dazu beigetragen, dass es funktionierte. Dies allein läßt den Vorwurf des Beklagten (Grafe) und die Kritik an der Übernahme des Klägers in den Bundesgrenzschutz zulässig erscheinen..."Zur Diplomarbeit Hübers, in den Entscheidungsgründen des LG-Urteils nur am Rande erwähnt, hat der Buchautor Roman Grafe nach seinem "Freispruch" durch das KG in der von der Geschichtswerkstatt Jena herausgegebenen Zeitschrift Gerbergasse 18 nachgelegt:

"Der Beitrag (Schulfernsehen der ARD über Hübers Leben in der DDR) verschweigt die leicht zu recherchierende Tatsache, dass Sven Hüber schon in seiner Diplomarbeit (1987) ein umfangreiches‚ klassenmäßig geprägtes Feindbild‘ aufgebaut hatte, zur ‚politisch-moralischen Vorbereitung der Angehörigen der Grenztruppen der DDR auf den Grenzdienst‘. Dabei bezeichnete er das mörderische Grenzregime als legitim. Das Thema der Arbeit war sein späterer Arbeitsgeber: ‚Der Bundesgrenzschutz als Instrument imperialistischer Macht- und Herrschaftssicherung‘. Aus der Konfrontationsstrategie der BRD resultiere der ‚aggressive und reaktionäre Charakter‘ des Bundesgrenzschutzes. Er habe die Arbeit  ‚allein zum Zwecke der Erlangung des Diploms gefertigt, ohne davon, was er das geschrieben hat, inhaltlich überzeugt zu sein‘, sagt Herr Hüber heute über seine Hetzschrift. Und dass er ‚selbstverständlich derartige Auffassungen für falsch hielt‘."Das Berufungsurteil des Kammergerichts in Berlin haben nicht allein die Beklagten und Berufungskläger, Grafe und sein Verlag, mit Genugtuung und Erleichterung aufgenommen. "Es gibt noch Richter in Berlin!" Der historische Satz hat sich wieder einmal bewahrheitet. Die Entscheidung des Kammergerichts hat all jenen neue Hoffnung gegeben, die mit ähnlichen Klagen und anwaltlichen Schriftsätzen überzogen werden.

IV. Der " Fall Joachim Heinrich""Aber auch in München gibt es noch Richter", möchte man nach dem Urteil des LG München I vom 15. April 2009 ergänzen, nach dem ein Stasi - IMB es sich gefallen lassen muss, dass im Zusammenhang mit einem historischen Ereignis durch entsprechendes Bildmaterial und auch unter Namensnennung über ihn berichtet wird.Der Kläger Herbert Gräser (IM "Schubert") war nach den Feststellungen des Landgerichts wegen seiner Kenntnis von illegalen Antiquitätenverkäufen nach Westberlin vom MfS unter Androhung einer Ermittlungsverfahrens und einer Freiheitsstrafe 1981 als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) angeworben worden. Seit 1989 als "IMB" tätig, wurde er über die Informationsbeschaffung hinaus als einer von nur wenigen IM zur Zersetzung, Zerschlagung oder Zurückdrängung von "Feinden" eingesetzt. Mehr als 3000 Seiten Spitzelberichte hat er seinen Führungsoffizieren im MfS abgeliefert.Der Beklagte Münchner Naturwissenschaftler Joachim Heinrich, der durch die Veröffentlichung der Adressen sämtlicher konspirativer Wohnungen der Stasi in Erfurt 2007 bekannt wurde, hat auf seiner Internetseite www.stasi-in-erfurt.de auch ein Foto veröffentlicht, auf dem der Militärstaatsanwalt im Dezember 1989 die Bezirksverwaltung des MfS in der Erfurter Andreasstraße versiegelt. Auf diesem Foto ist auch der Kläger zu sehen, der neben dem Militärstaatsanwalt steht. Neben dem Foto stehen Namen und Funktion (IMB) des Klägers, der vom Beklagten die Unterlassung der Veröffentlichung begehrt. Da er im Staatsapparat der DDR weder ein Amt bekleidet noch eine sonstige Position des öffentlichen Lebens ausgefüllt habe, müsse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinter seinen berechtigten Interessen zurücktreten.Die 9. Zivilkammer des LG München I ist dieser Argumentation entgegen getreten. Es handele sich um ein wahrhaft historisches Bilddokument, auf dem der Kläger zu sehen ist. Als "IMB" hebe sich der Kläger durchaus von anderen Inoffiziellen Mitarbeitern oder gar der übrigen Bevölkerung der DDR ab und sei insoweit sehr wohl exponiert: "Vor diesem Hintergrund muss das grundsätzlich anerkennungswerte Interesse des Klägers an Anonymität... hinter die durch die allgemeine Meinungsfreiheit, die Informationsfreiheit und die Wissenschaftsfreiheit geschützten Interessen des Beklagten zurücktreten. Die Aufarbeitung historischer Ereignisse und die Ermittlung der geschichtlichen Wahrheit, wie sie unabdingbare Voraussetzung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und eines jeden freien und pluralistischen Gemeinwesens sind, würden in nicht hinnehmbarem Maße zurückgedrängt, wenn über historische und geschichtlich bedeutsame Ereignisse nicht voll umfänglich berichtet werden dürfte. Dies schließt die Veröffentlichung von Bildern und - soweit Personen sprichwörtlich Geschichte machen - Bildnissen mit ein. Im vorliegenden Fall ist es gerade auch nicht so, dass die Person des Klägers für die historische Aufarbeitung irrelevant wäre, so dass sein Recht auf Anonymität die Publikationsinteressen des Beklagten und die Informationsinteressen der Allgemeinheit überwiegen würde: Gerade die Besonderheit des Augenblicks und die ‚Funktion‘ , die der Kläger seinerzeit eingenommen hatte, lassen die Veröffentlichung seines Bildnisses als gerechtfertigt erscheinen."Durch die Münchner Entscheidung ist klargestellt: Das historische Foto darf nicht nur gezeigt werden, es darf auch gesagt werden, wen das Foto zeigt, nämlich keinen Bürgerrechtler, der bei der Türversiegelung hilft, sondern einen Stasi-Spitzel.

V. Folgerungen aus der "Heinrich-Entscheidung"Das Urteil vom 15. April 2009 ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung:

Das LG-Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig und unterliegt der Überprüfung durch das OLG München, wenn der unterlegene Kläger Berufung einlegt, doch kann es sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stützen, das schon am 23. Februar 2000 festgestellt hat, die namentliche Nennung eines Stasi-Mitarbeiters betreffe eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage und begründe ein erhebliches Aufklärungsinteresse. Die historische Erfahrung mit einer Diktatur und ihren Repressionsinstrumenten könne schließlich eine Anschauung darüber vermitteln, welchen Gefahren die Freiheitsrechte der Bürger ausgesetzt sein können, wenn die Sicherungen eines freiheitlichen Rechtsstaates außer Kraft gesetzt werden.In seiner Entscheidung vor neun Jahren hat das oberste deutsche Gericht auch das Argument der drohenden Stigmatisierung verworfen. Die Unterstellung einer inoffiziellen MfS-Mitarbeit führe nicht in gleicher Weise zu einem Entzug sozialer Anerkennung wie etwa strafrechtliche Vorwürfe. Angesichts der Tatsache, dass die IM-Tätigkeit in der DDR ein Massenphänomen gewesen sei, sei mit einer "Pogromstimmung" bei der Veröffentlichung von Klarnamen nicht zu rechnen. Die Verwerflichkeit einer Zusammenarbeit mit dem MfS dürfe nicht auch noch durch einen rechtsstaatlichen Schutz der Anonymität honoriert werden. Klare Worte aus Karlsruhe!Hinzuweisen ist schließlich auf die Regelung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG), dessen § 32 Abs. 3 die Veröffentlichung pesonenbezogener Informationen des MfS gestattet, wenngleich nur unter bestimmten Bedingungen. Liegen diese vor, so ist die Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, die mit der Veröffentlichung der wahren Tatsachenbehauptungen einhergeht, gerechtfertigt mit der Folge, das ein Unterlassungsanspruch nicht besteht.

VI. SchlussbemerkungEs steht zu hoffen, dass die Gerichte, die ohnehin nicht die Aufgabe haben, einen Schlussstrich unter eine vergangene Diktatur zu ziehen, den Opfern, die durch ihren Widerstand gegen das Regime zu dessen Ende und zur Einheit Deutschlands beigetragen haben, nicht nur Recht gewähren, sondern sie auch mit der gebotenen Sensibilität behandeln. Die Richter müssen lernen, dass Träger der zweiten deutschen Diktatur auch dann Täter sind, wenn sie strafrechtlich nicht zu belangen sind.Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz gilt nicht für die Erforschung der Zeitgeschichte und die Geschichtswissenschaft. "Die veröffentlichten Angaben mit Informationen zur beruflichen Qualifikation und Entwicklung hauptamtlicher Mitarbeiter sind geeignet zur Aufarbeitung und bildenden Darstellung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes. Sie sind auch erforderlich, um in bezeichnender und verständlicher Weise die Einbindung von Personen in der SED-Diktatur darzustellen. Deren Benennung und die Möglichkeit bildlicher Vorstellung geben nachhaltigen Eindruck in die Einbindung Einzelner in die Funktionen und verlieren sich nicht in der Abstraktheit bloßer Zahlen. Sie ermöglichen das Ziel der politischen Bildung, zu verdeutlichen, dass die Herrschaftsausübung und das Funktionieren eines Verfolgungs- und Repressionsapparates erst durch Individuen gewährleistet werden."

Mit dieser Stellungnahme trat im Mai 2008 der Landesbeauftragte für den Datenschutz in Sachsen-Anhalt der Offensive einstiger Stasi-Offiziere, angeführt vom letzten Leiter der Untersuchungsabteilung IX der MfS-Bezirksverwaltung Halle, Oberstleutnant Jürgen Stenker, gegen die Dauerausstellung in der Gedenkstätte ROTER OCHSE in Halle/Saale entgegen, der durch Anwaltsschreiben dreist gar Teile des Inhalts der Ausstellung verbieten lassen wollte. So sei die Aussage "Das Hauptziel des MfS war es, Geständnisse zu erzielen, nötigenfalls mit physischer oder psychischer Gewalt" unwahr. Gedenkstättenleiter André Gursky hat die Drohung gelassen aufgenommen. Er wartet noch heute auf die 2007 angekündigte Klage.Wie in Halle und zuletzt in München muss der Versuch der Täter, DDR-Geschichte gesichtslos zu machen, erfolglos bleiben. "Ohne Namensnennung würden wir über Geschichte ohne Menschen reden", hat Lutz Rathenow treffend formuliert. Moralische Schuld unterliegt im Gegensatz zu Straftaten keiner Verjährungsfrist."Früher kannten sie unsere Namen, heute nennen wir ihre Namen!" Die Selbstverständlichkeit, mit der Jürgen Fuchs damals ans Werk ging, sollten sich auch die deutschen Gerichte zu eigen machen.

Der Autor: Dr. Hans-Jürgen Grasemann ist Oberstaatsanwalt in Braunschweig und war von 1988 bis 1994 stellv. Leiter und Sprecher der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter. Er verfasste zahlreiche Abhandlungen zur deutschen Diktaturvergangenheit von 1933 bis 1989 und ist in ganz Deutschland und darüber hinaus ein gefragter Referent zu Themen aus diesem Bereich. In diesem Jahr ist er u. a. Wortführer eines politisch und juristisch fundierten Widerspruchs ui gezielten Behauptungen aus der SED-Fortsetzungspartei "Die Linke", die DDR dürfe nicht als Unrechtsstaat bezeichnet werden. Hans-Hürgen Grasemann, geboren 1946, promovierte 1973 mit einem Thema zum DDR-Verfassungsrecht, ist seit 1969  Mitglied der SPD und seit 2006 ist er Vorsitzender des Vorstandes des Trägervereins der Politischen Bildungsstätte Helmstedt e.V.

Erschienen in: FREIHEIT UND RECHT 2009 / 2