Hans von Dohnanyi

Jurist im Widerstand gegen das NS-Regime

Von Hans-Jürgen Grasemann

In der Öffentlichkeit gilt es als ausgemacht, dass Juristen am aktiven politischen Widerstand gegen das NS-Regime kaum beteiligt waren. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Viele Widerstandskämpfer waren Juristen, Rechtsanwälte, Richter und Notare, die mit dem Tode bestraft wurden. Einer von ihnen war Hans von Dohnanyi, den der Staat Israel aufgrund der von ihm unter eigener Lebensgefahr ermöglichten Rettung von jüdischen Mitbürgern seit 2003 als „Gerechten unter den Völkern“ in der Gedenkstätte Yad Vashem ehrt.

Hans von Dohnanyi gehört zu den zentralen Persönlichkeiten des deutschen Widerstandes gegen die Unrechts- und Terrorherrschaft des Nationalsozialismus.

1902 als Sohn eines ungarischen Komponisten und einer Pianistin in Wien geboren, wuchs er nach der Trennung der Eltern in Berlin auf. Auf dem Grunewald-Gymnasium lernte er Dietrich und Klaus Bonhoeffer kennen, deren Schwester Christine er 1925 nach dem ersten Staatsexamen heiratete. 1928 wird ihr Sohn Klaus geboren, der als Bundesminister und Erster Bürgermeister von Hamburg wirkte, 1929 der Sohn Christoph, der einer der großen Dirigenten geworden ist. Nach Promotion und Assessorexamen war Hans von Dohnanyi von 1929 bis 1939 beim Reichsgericht und im Reichsjustizministerium tätig. 1934 zum Leiter des Ministerbüros des deutschnationalen Reichsjustizministers Franz Gürtner ernannt, führte er im Einverständnis mit Gürtner ein Diensttagebuch, in dem er offensichtliche Rechtsbrüche des NS-Regimes einschließlich der Verbrechen in den Konzentrationslagern dokumentierte. Abschriften entnahm er für seine private Sammlung, in der er außerdem Materialien über hohe Staats- und Parteifunktionäre aufbewahrte. Hintergrund für diese Tätigkeit war seine zunehmend kritische und abwehrende Einstellung zum Nationalsozialismus, die aus seiner christlich-liberalen Grundhaltung erwuchs.

1938 lernte von Dohnanyi den damaligen Oberstleutnant Hans Oster aus der von Admiral Canaris geleiteten Abwehr der Wehrmacht kennen. Beide waren der Auffassung, dass Hitler beseitigt werden müsse. Sie befanden sich damit in Übereinstimmung mit führenden Militärs, darunter Generaloberst Beck und General von Witzleben. Eine bereits vorbereitete Aktion zum Sturz Hitlers kam aufgrund der außenpolitischen Entwicklung 1938 nicht zur Ausführung.

Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges forderte Oster 1939 von Dohnanyi für das Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht an. Mit Canaris und Oster baute er die Abwehr zu einem organisatorischen Zentrum des Widerstandes aus und arbeitete an Plänen für einen Umsturz mit. Zu dem Widerstandkreis gehörten außerdem Dietrich Bonhoeffer, Ludwig Gehre, Karl Ludwig von Guttenberg, Justus Delbrück und Ulrich von Hassel. Von Dohnanyi leitete Berichte über Deportationen und Massenvernichtungen von Juden an höhere Militärs weiter, um diese zum Einschreiten zu bewegen. In einem vom Amt Ausland/Abwehr durchgeführten „Unternehmen Sieben“ wurde 1942 als Juden verfolgten Berliner Rechtsanwälten mit ihren Familienangehörigen als angebliche Agenten die Flucht in die Schweiz ermöglicht. Bei einem geheimen Besuch in der Schweiz hatte von Dohnanyi die Aufnahme der Flüchtlinge vorbereitet.

Unter dem Vorwand des Devisenvergehens wurde von Dohnanyi zusammen mit seiner Ehefrau im April 1943 verhaftet. Obwohl infolge einer Diphterie-Erkrankung nahezu vollständig gelähmt, blieb er auch über den 20. Juli 1944 hinaus in Haft. Nach dem missglückten Attentat auf Hitler wurde die Widerstandsgruppe um Canaris vor allem aufgrund des Auffindens der „Zossener Akten“ ermittelt und festgenommen. Von Dohnanyi wurde im August 1944 aus dem Seuchenlazarett Potsdam in das KZ Sachsenhausen bei Oranienburg verlegt. Die Ende 1944 abgeschlossenen Ermittlungen endeten mit der Feststellung: „Der Sonderführer von Dohnanyi begründet seine Ablehnung des Nationalsozialismus mit angeblicher Rechtswillkür sowie mit dem Vorgehen des Nationalsozialismus in der Juden- und Kirchenfrage.“

Nach einem zweiten Zossener Aktenfund, bei dem die Tagebücher von Canaris entdeckt worden waren, befahl Hitler in einem Wutanfall am 5. April 1945, die Verschwörer sofort „zu vernichten“. Kaltenbrunner, nach Heydrich Chef des RSHA, ordnete daraufhin an, gegen Canaris, Oster, Sack, Gehre und Bonhoeffer sowie gegen von Dohnanyi „SS-Standgerichtsverfahren“ durchzuführen.

Entsprechend dieser Anordnung fand am 6. April 1945 im KZ Sachsenhausen die Verhandlung gegen von Dohnanyi statt, der auf einer Trage liegend vor dem Gerichtstisch abgestellt wurde. Das Gericht war mit 3 SS-Führern, darunter der Lagerkommandant, besetzt. Ankläger war der Regierungsdirektor und SS-Standartenführer Huppenkothen. Von der Hinzuziehung eines Verteidigers und eines Protokollführers wurde abgesehen. Hans von Dohnanyi wurde wegen „Hoch- und Kriegsverrats“ zum Tode verurteilt und vermutlich noch am selben Tag in Sachsenhausen getötet. Admiral Wilhelm Canaris, General Hans Oster, Heereschefrichter Karl Sack, Pastor Dietrich Bonhoeffer und Hauptmann Ludwig Gehre wurden am 8. April 1945 im KZ Flossenbürg ebenfalls von einem SS-Standgericht mit Huppenkothen als Ankläger zum Tode verurteilt. Im Morgengrauen des 9. April 1945 wurden die fünf Häftlinge bewusst entwürdigend in völlig nacktem Zustand durch Erhängen hingerichtet.

Durch eine Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 1. August 1996 wurde der Öffentlichkeit bekannt, dass das Todesurteil von Flossenbürg bereits aufgrund des bayerischen Gesetzes Nr. 21 vom 28. Mai 19 46 zur Wiedergutmachung strafrechtlichen NS-Unrechts mit Wirkung für das gesamte Bundesgebiet aufgehoben worden war. Obwohl diese Gesetzeslage eine Gerichtsentscheidung in der Sache nicht zuließ, hat die Berliner Strafkammer sich eine eigene Wertung nicht versagt. Weil das Verfahren in Flossenbürg nicht zur Rechtsanwendung durch unabhängige Richter, sondern der Rache an und der Vernichtung von Gegnern des Nationalsozialismus unmittelbar vor dessen Untergang gedient habe, wäre das Urteil des SS-Standgerichts auch nach dem Berliner Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts auf dem Gebiet des Strafrechts vom 5. Januar 1951 aufzuheben gewesen, denn den Machthabern sei es allein darum gegangen, Bonhoeffer und seine Mitstreiter wegen ihres Widerstandes gegen die Diktatur auszuschalten und zu vernichten. Der Zweck des Standgerichtsverfahrens habe nicht darin bestanden, die Wahrheit zu erforschen und Recht und Gerechtigkeit walten zu lassen. Vielmehr sei es darum gegangen, die aufgrund ihrer Widerstandstätigkeit unbequem gewordenen Häftlinge unter dem Schein eines gerichtlichen Verfahrens, das de facto unter Missachtung aller Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens stattfand, beseitigen zu können.

Im Gegensatz zum lediglich deklaratorischen „Bonhoeffer-Beschluss“ bedurfte es im Fall Hans von Dohnanyis wegen abweichender Gesetzeslage einer Gerichtsentscheidung mit konstitutiver Wirkung. Vor 10 Jahren, am 2. Juni 1997, hat das Landgericht Berlin auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Todesurteil gegen von Dohnanyi aufgehoben und ihn rehabilitiert.

So positiv die Aufnahme der beiden Entscheidungen des Berliner Landgerichts in den Medien und der politischen Öffentlichkeit war, nannten kritische Stimmen es unnötig, die Märtyrer der NS-Zeit, die im Kampf gegen Hitler-Deutschland ihr Leben ließen, zu rehabilitieren. Denn es gebe nichts Ehrenvolleres, als sein Leben im Widerstand eingesetzt und geopfert zu haben. Klaus von Dohnanyi nannte die Rehabilitierung gar ein „absurdes Ziel“, weil die Ermordeten keiner Rehabilitation mehr bedürften. Die Geschichte habe Bonhoeffer, Dohnanyi und die anderen Mitstreiter längst rehabilitiert.

Ähnliche Gedanken hat Fritz Bauer als Generalstaatsanwalt schon 1952 im Braunschweiger „Remer-Prozess“ ausgeführt: „Was die Widerstandskämpfer vollbracht haben, war das größte nationale Aktivum, mit dem wir Deutschen am Ende des Krieges den Alliierten entgegentreten konnten. Es war das einzige Aktivum, das wir ins Feld führen konnten, als die Kollektivschuld uns ins Gesicht geschleudert wurde. Es war ein Aktivum, das wir dem Widerstandskampf und nur ihm verdanken… Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass es ausgeschlossen ist, irgendeinem Teilnehmer am 20. Juli in irgendeinem Sinne vorzuwerfen, er habe den Vorsatz gehabt, Deutschland zu schaden. Einziges Ziel ihrer Handlungen war, Deutschland zu retten. Um dessentwillen kommt der Tatbestand des Landesverrats nicht zur Anwendung… Ein Unrechtsstaat, der täglich zehntausende Morde begeht, berechtigt jedermann zur Notwehr… Ein Unrechtsstaat wie das Dritte Reich ist überhaupt nichthochverratsfähig.“

Fritz Bauers Plädoyer hat uns ein beeindruckendes und schönes Bild hinterlassen: „Die Menschen in den Konzentrationslagern und die Menschen außerhalb der Konzentrationslager haben den Samen der neuen Demokratie gesät. Die Alliierten haben den Stein entfernt, der verhinderte, dass dieser Samen zum Licht emporkam. Als aber die Alliierten den Stein entfernten, da wuchs dieser Samen. Dieser Samen war nicht gesät von den Alliierten, dieser Samen war von den deutschen Widerstandskämpfern gesät.“

Einer von ihnen war Reichsgerichtsrat Hans von Dohnanyi, vor 62 Jahren ermordet von Verbrechern, die sich Richter nannten, vor 10 Jahren endlich auch justizförmig rehabilitiert

 

Erschienen in: FREIHEIT UND RECHT 2007 / 1