KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

Von Jörg Skriebeleit

Die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg zählt heute zu einem Erinnerungsort von europäischem Rang. Bis vor wenigen Jahren galt Flossenbürg allerdings noch als das „vergessene Konzentrationslager“ schlechthin. Dies lag nicht zuletzt am parkähnlichen Erscheinungsbild der Gedenkstätte, das den räumlichen Eindruck des ehemaligen Lagers buchstäblich weichzeichnete und damit die historischen Dimensionen des Lagers marginalisierte. Die von der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen von 1952 bis 1988 gepflegte Stätte umfasste nämlich kaum historische Bausubstanz des Konzentrationslagers. Mehr noch: sofern diese vorhanden war, störte sie das ebenso einheitliche wie eindeutige Pflegekonzept, die Erinnerung in Form eines in die Landschaft eingepassten Waldfriedhofes, und wurde schlicht abgerissen. Dafür fanden sich umso mehr bauliche Relikte des ehemaligen Konzentrationslagers außerhalb des Gedenkstättengeländes.

Pragmatik, Pietät, Protest und purer Zufall. Mit diesen Begriffen lässt sich der Umgang mit Hinterlassenschaften des Konzentrationslagers Flossenbürg für einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert wohl am trefflichsten beschreiben. Als amerikanische Einheiten das Konzentrationslager Flossenbürg am 23. April 1945 erreichten, fanden sie ein fast leeres Lager vor. Die SS hatte mehr als 15.000 Häftlinge zuvor auf Todesmärschen Richtung Süden getrieben. In läuterungspädagogischer Absicht und aus sehr pragmatischen Gründen richtete die amerikanische Militärverwaltung im Juli 1945 in den Baracken des soeben befreiten Konzentrationslagers ein Kriegsgefangenenlager für SS-Einheiten ein. Diese POW-Enclosure No. 422 umfasste den ehemaligen Häftlingsbereich sowie das riesige Areal des KZ-Steinbruches mit den Flugzeughallen der Fa. Messerschmitt. Die amerikanische Militäradministration richtete sich im früheren SS-Bereich ein. Die KZ-Kommandantur wurde zum zentralen Verwaltungsgebäude, das SS-Casino zur Officers Messhall und in den SS-Offiziershäusern, schmuck am Südhang des Ortes gelegen, logierten nun höhere Chargen der US-Army. Einzig das KZ-Krematorium blieb eine Art exterritorialer Bereich, hierfür gab es in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager keinen Bedarf.

Auch nach Auflösung der POW Enclosure 422 blieb der Umgang mit dem früheren KZ-Gelände ein überaus pragmatischer. Im April 1946, exakt ein Jahr nach der Befreiung des Konzentrationslagers, eröffnete die Flüchtlingsverwaltung der Vereinten Nationen (UNRRA, United Nations Relief and Rehabilitation Administration) in Flossenbürg ein Durchgangslager für polnische Displaced Persons (DPs). Diese nicht-jüdischen polnischen Kriegsopfer verband keinerlei persönliches Haftschicksal mit dem KZ Flossenbürg. Dennoch formierte sich aus ihrem Kreis ein Denkmalkomitee mit dem Ziel, auf dem Gelände des ehemaligen Lagers eine Erinnerungsstätte für die Opfer dieses Konzentrationslagers zu errichten. Durch polnische Initiative entstand in den Jahren 1946 und 1947 in Flossenbürg eine der ersten KZ-Gedenkstätten Europas. Die gesamte Anlage befand sich in einer Senke unterhalb des ehemaligen Häftlingsbereichs, dem Wohnraum der DPs, und hatte die inhaltliche Matrix eines Kreuzweges. Das ehemalige Krematorium fungierte als Relikt und Reliquie. Als Relikt, an dem der tausendfache Tod und auch die Toten am präsentesten waren. Als Reliquie, in deren Umfeld reale und symbolische Grabzeichen errichtet wurden. Fixpunkt der Gedenkanlage war eine aus abgebrochenen Wachtürmen neu errichtete Kapelle, die über dem „Tal des Todes“ thronte und dem gesamten Ensemble eine christliche Sinnstiftung verlieh. Diese Gedenklandschaft wurde nach langwierigem Beschluss des bayerischen Ministerrates am 28. April 1949 unter „staatlichen Schutz und Pflege“ gestellt. Sie war damit nicht nur eine der ersten in Europa, sondern auch die erste KZ-Gedenkstätte Bayerns.

Was „Schutz und Pflege“ bedeuten und wer sie leisten sollte, war zunächst aber völlig unklar. Eindeutig war nur die pragmatische Weiterverwendung des restlichen Lagergeländes. Zeitgleich mit der Unterschutzstellung des „Tals des Todes“ wurde vom bayerischen Finanzministerium der KZ-Steinbruch an ein Gewerkschaftsunternehmen verpachtet. Gleiches geschah mit dem Appellplatz, der ehemaligen Lagerwäscherei und der früheren Häftlingsküche, die an eine sudetendeutsche Holzspielzeugfabrik vermietet wurden. Verschiedene Verantwortliche wie Flüchtlingsverwaltung, Landkreis oder Kommune, brachten in den noch bestehenden Gebäuden des Lagers - die meisten Holzbaracken waren 1948/49 bereits abgebrochen - unterschiedlichste Personengruppen unter. Das ehemalige Lagergelände war also bereits Ende der 1940er Jahre de facto in einen kleinen Gedenkbereich, ein Gewerbeareal und einen Wohnbereich aufgeteilt.

Die Entwicklungen der nächsten Jahrzehnte sollten diese Separierung noch verfestigen. Daran änderte auch der Protest französischer und belgischer Häftlingskomitees nichts. Angesichts eines bayernweiten Skandals im Umgang mit den Gräbern von Todesmarschopfern (sog. Dachauer Leitenberg-Skandal) konzentrierten sich die internationalen Verbände in ihren Forderungen in den 1950er Jahren auf den pietätvollen Umgang mit KZ-Opfern und weniger auf den Erhalt historischer Bausubstanz. Im Zuge des Leitberg-Skandals wurde im Freistaat endlich die Zuständigkeit für diese Gräber und die Flossenbürger Gedenkanlage geregelt. Mehr aus purem Zufall denn aus konzeptionellen Gründen wurde die Schlösserverwaltung mit dieser Aufgabe betraut – sie verfügte schlicht über eine Dependance und damit auch Personal auf dem Dachauer Schloss.

„Pietät“ entwickelte sich fürderhin zur Zentralvokabel, mit der in Flossenbürg, aber auch anderswo in Bayern die Zerstörung historischer Bausubstanz legitimiert wurde. Als Ende der 1950er Jahre, als späte Konsequenz aus dem Gräberskandal, in Flossenbürg ein neuer Ehrenfriedhof für mehr als 5.000 umgebettete Opfer der Todesmärsche angelegt werden sollte, formulierte die Schlösser- und damit Gedenkstättenverwaltung ihren baulich-räumlichen und somit ihren erinnerungspolitischen Imperativ deutlich und zweifelsfrei: „Zur Gestaltung einer würdevollen und friedvollen Anlage ist die Erschließung eines Geländes vorgesehen, das mit der vorhandenen Gedenkstätte verbunden, unmittelbar in die Landschaft einbezogen wurde. (…) Hinterbliebene und Besucher sollen eine friedliche, gewaltlose Stätte vorfinden, die mit Überlegung aber unaufdringlich geplant, liebevoll gepflegt ist und die Erinnerung an das Gewesene mildert.“[1]

Die Milderung des Gewesenen, die Minimierung der Relikte zur Maximierung dieser Sinnstiftung sollte bis Mitte der 1990er Jahre die handlungsleitende Programmatik der zuständigen bayerischen Behörden bleiben. Mit der Anlage des Ehrenfriedhofes wurde das Gedenkensemble im „Tal des Todes“ räumlich erweitert und dessen inhaltliche Matrix, eine christlich versöhnende Wirkung, verlängert. Bauliche Hinterlassenschaften, die diese störten, wurden weitestgehend dem Erdboden gleichgemacht. Es gelang immer nur partiell und durch massive öffentliche Proteste, weitere Demolierungen und Destruktionen zu verhindern. So den Erhalt wenigstens eines Rest-Stücks des ehemaligen Arrestbaus Ende der 1960er Jahre, als evangelische Kreise bundesweit gegen den Abbruch des Todesortes von Dietrich Bonhoeffer intervenierten.

Die Dreiteilung des historischen Ortes KZ-Flossenbürg in parkähnliche Gedenkstätte, Gewerbeareal und Wohnsiedlung zementierte sich bis in die Mitte der 1990er Jahre. Ausgelöst durch den 50. Jahrestag der Befreiung und die seitdem entschiedene Präsenz ehemaliger Häftlinge am historischen Ort, begann aber allmählich eine Entwicklung, die das KZ Flossenbürg historisch und räumlich neu dimensionierte. Die Rückübertragung des seit 1948 industriell verwendeten ehemaligen Appellplatzes und der Originalgebäude Lagerwäscherei und Häftlingsküche durch den letzten gewerblichen Nutzer an das nunmehr zuständige Bayerische Kultusministerium ermöglichte die grundlegende Neukonzeption der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Die beiden Originalgebäude und der Appellplatz wurden seitdem sensibel saniert und sind der Öffentlichkeit nun zugänglich. In der Lagerwäscherei wird nach mehr als 60 Jahren erstmals die Gesamtgeschichte des Konzentrationslagers Flossenbürg in einer modernen zeithistorischen Ausstellung präsentiert. 2010 wurde der komplexen Nachgeschichte dieses Lagers und seines Geländes eine eigene, zwischenzeitlich mit dem Bayerischen Museumspreis prämierte, zweite Dauerausstellung gewidmet. In den folgenden Jahren wird die Gedenkstätte um ein Besucherzentrum und ein Seminarhaus ergänzt sowie das Außengelände landschaftsplanerisch neugestaltet.

Das alles geschieht unter höchstmöglichen denkmalkonservatorischen und zugleich innovativ-konzeptionellen Prämissen. Dies bedeutet selbstverständlich auch, dass die problematischen Überformungen und Sinnstiftungen der Nachkriegszeit keineswegs „weg“-konzipiert beziehungsweise „geheilt“ werden. Gerade das Nebeneinander von Zeit- und Nutzungsschichten, von memorialästhetischen Interpretationen und Interventionen sowie deren heutige museologisch-pädagagogische Verknüpfung macht die Besonderheit des europäischen Erinnerungsortes Flossenbürg aus. Sie lässt diesem Ort jene Bedeutung zukommen, deren Geschichte er repräsentiert und die er mehr als 50 Jahre lang entbehrte.


[1] Erläuterung des Schlösserverwaltung zur Neuanlage eines Ehrenfriedhofs in Flossenbürg vom 28. August 1956, Schlösserverwaltung Nymphenburg, Flossenbürg 6/2, Neugestaltung 1956-1959.